Replik

Appell an Muzicant: Vorverurteilungen spalten Gesellschaft

Wer darauf aus ist, andere permanent auszugrenzen, der befördert deren Aufstieg.

Wortreich belegt Ariel Muzicant in seinem „Presse“-Gastkommentar vom 4. April, warum er politische Funktionäre und fast eine ganze Partei ungestraft als Kellernazis bezeichnen darf. Als Klubobmann der ÖVP in Niederösterreich ist es nicht meine Aufgabe, die FPÖ und ihre Funktionäre zu verteidigen. In seinem Kommentar vermischt Muzicant aber alle, die es wagen, die FPÖ auch nur anzustreifen, zu einer einzigen braunen Suppe.

Der Autor

Jochen Danninger (*1975 in Ried/Innkreis) ist seit März Klubobmann der Volkspartei Niederösterreich im nö. Landtag.

Auch wenn er wiederholt und auffällig bemüht betont, dass natürlich „nur“ die Funktionäre der FPÖ Kellernazis seien, so weiß Muzicant natürlich, dass er damit alle Wählerinnen und Wähler und alle Parteien, die je mit der FPÖ zusammengearbeitet haben, in einen Topf wirft. Dass Muzicant im Gegensatz zu Robert Menasse den ehemaligen SS-Offizier Friedrich Peter nicht als nahezu lupenreinen Demokraten beschreibt, ist da fast schon ein Lichtblick.

Übrig bleibt jedoch: Es kann nicht sein, was sind nicht sein darf. Ich bezweifle, ob diese pauschale (Vor-)Verurteilungen unserer Gesellschaft wirklich einen guten Dienst erweisen. Es war leider schon immer so: Wer andere permanent ausgrenzt, wer permanent die Nazi-Keule gegen unliebsame Personen schwingt, auch wenn diese demokratisch gewählt wurden, der befördert leider nur deren Aufstieg.

Eindeutige Positionen

Besonders enttäuschend ist dabei, dass sich Ariel Muzicant offensichtlich nicht einmal die Mühe gemacht hat, das niederösterreichische Arbeitsübereinkommen zu lesen. Dieses Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ schreibt die besondere Verantwortung Niederösterreichs gegenüber der jüdischen Gemeinschaft fest.

Unmissverständlich ist festgehalten, dass die Stärkung des jüdischen Kulturerbes, des jüdischen Lebens sowie die Bekämpfung des Antisemitismus und das Gedenken an den Holocaust im Fokus der neugebildeten Landesregierung stehen. Muzicant ignoriert die eindeutigen Positionen nicht einmal.

Unzulässiger Vergleich

Mehr noch. In völlig unzulässiger Form vergleicht er eben doch die Regierungsbildung in Niederösterreich mit der Wahl Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler 1933, wenn er schreibt: „Die Feststellung des FPÖ-Koalitionspartners, es handle sich ja um eine demokratisch gewählte Partei, ist eine Irreführung. Auch Adolf Hitler wurde zunächst demokratisch gewählt (hier soll kein Vergleich zu Kickl und Co. gezogen werden). Auch dort glaubten die konservativen Kräfte, Hitler in Schach halten zu können. Die Folge waren über 50 Millionen Tote in Europa und die Quasivernichtung des europäischen Judentums.“

Werter Herr Muzicant! Wer so plakativ betont, dass eben kein Vergleich gezogen werden soll, und dann eben doch den Vergleich zieht, trägt zu einer Verrohung bei, die uns nicht guttut.

Als ob in Niederösterreich ein Holocaust bevorstünde! Als ob es keine klare Erklärung der Koalitionspartner dazu gäbe! Als ob die niederösterreichische Landesregierung unter ÖVP-Führung nicht durch Jahrzehnte alles getan hätte, um sämtliche antisemitischen, xenophoben und rassistischen Entgleisungen zu bekämpfen.

Mit Selbstverständlichkeit wurden und werden Wissenschaft und Kunst in Niederösterreich in einem beispiellosen Ausmaß gefördert, unbeschadet der parteipolitischen Präferenzen der Antragsteller. Dies wird auch so bleiben. Die Aussagen von Muzicant sind entbehrlich und zutiefst abzulehnen. Ich ersuche Herrn Muzicant wirklich dringend um eine Abrüstung der Vorverurteilungen und der Worte.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2023)

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