Festival

Osterfestival Tirol: Böhmisches Barock, Tanz im Seifenschaum

(c) Fotograf Victor Malyshev
  • Drucken

Zelenka im Salzlager Hall, Tanztheater in Seifenschaum: Variationen auf die Letzten Dinge aus Barock und Gegenwart beim Osterfestival Tirol.

Als „letzten Ausdruck seiner Sohnesliebe“ habe „der tiefbetriibte Johannes Dismas Zelenka“ dieses „De profundis“ 1724 für die Exequien seines kurz zuvor verstorbenen Vaters geschrieben: Das Doppel-I mag authentisch nach Böhmakeln klingen, ist aber nur ein Druckfehler im Programmbuch des Osterfestivals Tirol. Ein trefflicher freilich. Doch bei Zelenka muss man stets auf die originellsten Überraschungen gefasst sein: Das wissen zumindest alle, die Vaclav Luks und seinem singenden wie spielenden Collegium 1704 lauschen, die seit Jahren nicht zuletzt als großartige Anwälte der Musik des tschechischen Barockmeisters durch die Welt reisen. Zelenka verblüfft auch heutige Ohren durch seine Kräfte in Erfindung und Ausdruck. Im genannten „De profundis“ (ZWV 97) warten etwa gleich zu Beginn die drei Posaunen keineswegs, bis sie laut Tradition die unteren Chorstimmen verdoppeln dürfen, sondern treten zusammen mit den Streichern sofort melodisch auf und pochen auch später oft auf ihre Unabhängigkeit.

Solche Freiheiten, darunter eine konzertante Oboe in einem Duett von Alt und Tenor, durchwirkt Zelenka mit strenger Kontrapunktik – und greift zugleich mit Intonationen aus der Gregorianik auf noch ältere Praktiken zurück. So gut wie alle nur denkbaren Register der Kirchenmusik seiner Zeit zieht Zelenka im großen „Miserere“ d-Moll ZWV 56, einem Wunder an Größe und zugleich an Abwechslung auf engstem Raum.

Luks und die Seinen kosteten die Buntheit der Details aus, einen fetzigen Polonaisenrhythmus in den Streicherbässen etwa, ohne den großen Zusammenhang aus dem Blick zu verlieren: im stets lebendigen, raschen Wechsel zwischen Chor und Soli, Homo- und Polyphonie. Einmal setzt Zelenka da unbekümmert zwei kontrapunktische Formen hintereinander, Fuge und Kanon, behilft sich aber mit dem Kniff, die eine im Bass beginnen zu lassen, den anderem im Sopran. Und das Thema der abschließenden „Amen“-Fuge sinkt zunächst in lamentablen Halbtonschritten nieder – bis Zelenka es umkehrt und zuversichtlich aufsteigen lässt: großer Jubel im Salzlager Hall.

Seifenoper ohne Worte

Von sakralen Gesangstexten und der musikalischen Figurenlehre des Barock wechselte das neugierige Osterfestival-Publikum tags darauf zu einer Verquickung von wortloser Performance und Installation. In „Soapéra“ der Choreografin Mathilde Monnier breitet sich zu einer bedrohlichen Geräuschtonspur zuerst eine Hügellandschaft aus Seifenschaum auf der Bühne aus. Unbemerkt schlüpfen irgendwann drei Tänzer hinein oder besser darunter; eine Tänzerin wird gleichsam verschlungen von diesem molluskenhaft-flüchtigen Bläschenwesen.

Anfangs wirken die vier wie Puppenspieler, die in vorsichtigen Zeitlupenbewegungen Beulen, Schnäbel oder Tentakel der fiktiven Kreatur erzeugen: Man blendet sie eher aus zugunsten der Illusion, die sie schaffen. Später jedoch, wenn der Schaum immer weniger wird, kippt der Eindruck. Dann rücken die Menschen ins Zentrum, die sich um die schwindenden Schaum-Ressourcen bemühen. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Spaß vorbei – und hinterlässt einen großen, schmierigen Fleck. So wie dereinst die Menschheit?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.