Da hat uns die Traumfabrik wieder einen Bären aufgebunden: „Cocaine Bear“ zieht - trotz Gaga-Konzept.
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Eine Idee, zu blöd für Hollywood? Gibt's nicht!

Dass Filme wie „Cocaine Bear“ im Kino Erfolg haben, wundert nicht: Dämliche Leinwand-Konzepte haben Tradition - und kommen an.Ein kleiner Online-Überblick.

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Das kann doch nicht allen Ernstes ihr Ernst sein! Was haben sich die irren G'schichtldrucker in Hollywood nur dabei gedacht? Ein Film über einen Bär, der einen Batzen Kokain verschluckt? Und dann auch noch mit dem Titel „Cocaine Bear“ . . . Ist bei den Universal-Studios etwa die Qualitätskontrolle im Urlaub? Haben die Chefitäten ihre Enkelkinder zu Ideengebern gekürt? Oder ist ihnen einfach schon alles egal?

Mitnichten. Denn der Kassenerfolg gibt dem Bären recht, seinem tragischen Drogenproblem zum Trotz: „Cocaine Bear“ – in manchen Ländern verharmlosend als „Crazy Bear“ auf Kinobesucher losgelassen – hat seine Produktionskosten längst wieder hereingespielt. Sogar bei der Kritik kommt er gut an. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde: Das koksbedingt wild gewordene Zottelvieh, derzeit auch bei uns im Kino, brauchte im Grunde nur ein paar Mal im Trailer zu brüllen, um im Verbund mit dem ganz und gar unmissverständlichen Titel seines Filmvehikels das vergnügungshungrige (Internet-)Publikum zu begeistern: Her mit dem Bär!

Ist das Konzept von „Cocaine Bear“ – Bär + Kokain = Spaß – nun also genial oder unsagbar deppert? Kennern der Filmgeschichte stellt sich diese Frage nicht. Sie wissen, dass es im Kino nie darum geht, ob eine Idee blöd ist oder nicht – sondern stets nur darum, ob sie blöd genug ist, um die Zuschauer glauben zu lassen: Wenn es das auf die Leinwand schafft, wird es schon einen Grund haben.

Schließlich kann selbst ein Konzept, das sich auf dem Papier liest wie die Kopfgeburt eines umnachteten Strohschädels, einen fantastischen Film befördern. Ein Puppenspieler klettert durch die Tür hinter einem Aktenschrank ins Gehirn eines berühmten Schauspielers: Das ist der Stoff, aus dem das Oscar-nominierte Drama „Being John Malkovich“ (ab 3,99 €, diverse Anbieter) ist. Zugegeben: Es handelt sich um eine qualitative Ausnahme. Beispielhafter ist die Saga rund um „Air Bud – Champion auf vier Pfoten“ (Amazon). Der Golden Retriever, der sich mir nichts, dir nichts zum Basketball-Superstar mausert, kam bei manchen Zuschauern so gut an, dass sein Filmdebüt etliche (DVD-)Fortsetzungen erntete.

Überhaupt werden Tiere am häufigsten für die dämlichsten Filmideen eingespannt – ganz gleich, ob die Umsetzung völlig unironisch („Snakes on a Plane“, nomen est omen, ab 3,99 €, d. A.), augenzwinkernd („Sharknado“, über einen rabiaten Haifisch-Wirbelsturm, Teil zwei bei Amazon) oder bewusst absurd ausfällt („Mandibules“, zwei Deppen adoptieren eine Riesenfliege, ab 3,99 €, d. A.). Da kann die Pflanzenwelt nicht mithalten, trotz vergnüglicher Miniaturen wie dem Weihnachtsbaum-Rachethriller „Treevenge“ (YouTube). Der Reiz des Animalischen, ob in verniedlichter oder furchteinflößender Form, lässt Drehbuchdrechsler jedes Bemühen um Glaubwürdigkeit über Bord werfen. Weil sie dem Zielpublikum Wurst ist.

Wobei sich auch die Plot-Prämissen einiger der größten Leinwand-Hits der Traumfabrik bei näherer Betrachtung als fadenscheinig bis haarsträubend herausstellen: Eine der erfolgreichsten Blockbuster-Reihen der Welt war lang ein mehrteiliges Sci-Fi-Abenteuer rund um sprechende Roboter-Giganten von einem fremden Planeten, die sich zur Tarnung in Kraftfahrzeuge verwandeln („Transformers“, Netflix, Sky, Paramount+). Sogar ein toll inszeniertes Action-Stück wie John Woos TV-Dauerbrenner „Face/Off“ (Disney+) hält einer genaueren Untersuchung seines Handlungs-Aufhängers nicht stand: Allein schon die Idee, dass sich die Hauptfigur das Antlitz seines Erzfeindes ins Gesicht operieren lässt, um dessen Leben zu infiltrieren, macht stutzig. Ganz zu schweigen vom Umstand, dass der Identitätstausch (trotz ansonsten unveränderter Körpermaße) nicht einmal dessen Nächsten und besten Freunden auffällt.

Doch Kritik dieser Art fällt letztlich in die Kategorie der pedantischen Haarspalterei. Die wunderlichen Filme des Regisseurs M. Night Shyamalan etwa sind nicht erfolgreich, obwohl ihre erzählerischen Details oft abstrus wirken – der Psychothriller „Split“, auf Amazon, handelt z. B. von einem Mann mit 23 distinkten Persönlichkeiten –, sondern gerade weil sie sich nicht zu blöd dafür sind, mit ihren Skurrilitätswerten hausieren zu gehen.

Jüngere Filmschaffende haben begriffen, dass man sich heute nicht mehr für die Lächerlichkeit eines Konzepts schämen muss. Zuschauer, die mit dem aberwitzigen Unterhaltungskaleidoskop des World Wide Web aufgewachsen sind, finden schräge Einfälle und Erzählungen normal, solang sie emotional stimmig erscheinen. Ein Beispiel? Daniel Scheinert und Daniel Kwan sorgten zunächst mit einem Film über einen furzenden Leichnam für Aufsehen („Swiss Army Man“, ab 2,99 €, d. A.). Inzwischen hat das Regie-Duo hinter „Everything Everywhere All at Once“ einen „Best Picture“-Oscar zu Hause stehen.

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