Umstritten

Frankreichs Verfassungsrat stimmt Kernpunkten von Macrons Pensionsreform zu

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Der Präsident kann aufatmen. Das Verfassungsgericht bestätigte die Erhöhung des Pensionsalters und verwarf andere Punkte. Die Proteste dagegen gehen indes weiter.

Wenn man ein Ziel vor Augen hat und daran festhält, dann schafft man es auch. Das ist meine Devise.“ Emmanuel Macrons Worte bei seinem Besuch in der Kathedrale Notre-Dame vor dem vierten Jahrestag des Brandes war auf die vollständige Sanierung in genau einem Jahr gemünzt, Doch der französische Präsident dachte dabei wohl auch an das Urteil des Verfassungsgerichts zur höchst umstrittenen Rentenreform, nur wenige Stunden vor der Verkündung am Freitagabend.

Et voilà: Die Anhebung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre ist nicht verfassungswidrig; auch das Vorgehen der Regierung widerspricht nicht dem Grundgesetz. Mit seinem Urteil hat der Verfassungsrat die Reform im Wesentlichen für gültig erklärt. Nur einige untergeordnete Punkte werden darin bemängelt. Da es sich dabei ausgerechnet um Bestimmungen handelt, die – wie Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung der Senioren (über 55 Jahre) – diese Reform sozial akzeptabel machen sollten, bleibt am Ende eine verschärfte Version übrig.

Ohrfeige für die Gegner

Auch ein Antrag, mit einer Unterschriftensammlung eine Volksabstimmung zu fordern, wurde abgelehnt. Ein zweiter Vorschlag für eine so genannte Gesetzesinitiative muss vom Verfassungsgericht innerhalb von 30 Tagen geprüft werden.

Für die Gegner der Reform ist das Verdikt eine Ohrfeige. Dass die Artikel zu Gunsten der Senioren gestrichen werden, muss die Gewerkschaften und die Oppositionsparteien erst recht empören. Ihre Argumente, dass die Prozedur nicht verfassungskonform sei, wurden von den Richtern nicht geteilt. Für Premierministerin Élisabeth Borne dagegen ist nun alles klar, die Reform habe ihren „institutionellen Weg“ beendet.

Emmanuel Macron hat laut Angaben aus dem Élysée die Absicht, gestützt auf den Verfassungsentscheid in den kommenden 48 Stunden den Erlass publizieren, mit dem die Reform in Kraft gesetzt werden kann. Er möchte nach drei Monaten Konflikt und zwölf Aktionstagen mit mehreren Millionen Streikenden und Demonstrierenden jetzt aufatmen.

Ex-Premiers und Ex-Minister im Rat

Die neun „Weisen“ des Conseil constitutionnel, wie die Mitglieder des Verfassungsgerichts genannt werden, mussten sich in der Rolle von Schiedsrichtern mit der Pensionsreform befassen. Aus den Reihen der parlamentarischen Opposition waren mehrere Rekurse gegen den Inhalt dieser Reform und das Vorgehen der Regierung eingereicht worden. Premierministerin Borne hatte ihrerseits den Verfassungsrat mit der Überprüfung beauftragt.

Im Verfassungsrat sitzen neun Mitglieder, die alle vom Präsidenten sowie den Vorsitzenden des Senats und der Nationalversammlung nominiert werden. Es sind häufig ehemalige Spitzenpolitiker wie derzeit die beiden Ex-Premierminister Alain Juppé und Laurent Fabius, der gegenwärtig den Vorsitz führt, oder vormalige Regierungsmitglieder wie Macrons Ex-Minister Jacques Mézard und Jacqueline Gourault.

Obwohl sie diese Vorlage mit einer effektiv außergewöhnlichen Prozedur, einer verkürzten Debatte und zuletzt ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchsetzen musste, war die Regierungschefin in den vergangenen Tagen ziemlich selbstsicher. Das Verdikt der neun Richter hat ihr Recht geben. Mehrere Verfassungsrechtler hatten zudem gesagt, dass sich dieses Verfassungsgericht in Frankreich nicht als Gegenmacht zur Staatsführung verstehe.

Die Gewerkschaften, die gehofft hatten, dass die „Weisen“ ihr Veto einlegen würden, sind heute enttäuscht. Sie suchen nach anderen Mitteln, um dennoch zu verhindern, dass die neuen Bestimmung wie geplant ab 1. September in Kraft treten. Noch vor der Bekanntmachung des Entscheids der Verfassungsrichter haben sich die Gegner in mehr als 200 Städten Frankreichs zu Kundgebungen versammelt. Vor allem jüngere Demonstranten erklärten, für sie gehe der Kampf gegen diese Reform weiter.

Risiko einer sozialen Explosion

Die Gewerkschaften, die wissen, dass sich ihre Basis nach drei Monaten Streiks und Demonstrationen nicht mit einer einer Niederlage abfinden wird, müssen befürchten, dass die Proteste nun außer Kontrolle geraten. Das Risiko einer sozialen Explosion ist nach Meinung zahlreicher Politologen sehr reell. Macron habe „einen juristischen Sieg um den Preis eines sozialen Risikos“ errungen, meinte der Kommentator Alain Duhamel. Aus Angst vor Ausschreitungen bei spontanen Kundgebungen war das Verfassungsgericht gegenüber dem Louvre mit einem massiven Polizeiaufgebot in eine belagerte Festung verwandelt worden.

Tatsächlich kam es nach der Billigung der Pensionsreform durch den Verfassungsrat am Freitagabend erneut zu Ausschreitungen. Allein in Paris wurden laut Polizei 112 Demonstranten festgenommen und 30 Mülltonnen angezündet.

In etlichen anderen Städten wie Straßburg, Lyon und Nantes kam es ebenfalls zu Protestaktionen. In Rennes wurde dabei die Tür einer Polizeistation in Brand gesteckt. Bereits tagsüber hatte es Kundgebungen sowie Straßenblockaden gegeben. In den vergangenen Monaten waren mehrfach Hunderttausende Menschen gegen die Pläne auf die Straße gegangen. Für den Samstag werden weitere Proteste erwartet. Die Gewerkschaften riefen für den 1. Mai zu neuen Protestmärschen auf.

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