Jüdisches Filmfestival

Tom Segev: „Es ist heute zu leicht, Israel zu diffamieren“

Jüdisches Filmfestival Wien
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Historiker Tom Segev und Israels Botschafter Mordechai Rodgold eröffneten das Festival, das heuer, 75 Jahre nach der Staatsgründung, unter dem Motto „Israel – Realität & Utopie“ steht.

Vor fünf Jahren, als die ersten 70 Jahre des neuzeitlichen Staates Israel zu feiern waren, eröffnete das Jüdische Filmfestival Wien mit einem Film über ein Interview, das Staatsgründer Ben-Gurion 1968, im Alter von 82 Jahren, in einem Kibbuz in der Wüste Negev gegeben hatte. Ein berührendes historisches Dokument, über das man erfuhr, dass es linke wie rechte israelische Politiker mochten. Auch Netanjahu. Vielleicht könne die Erinnerung an den Pionier zur Versöhnung der Lager beitragen, schrieb der „Presse“-Berichterstatter damals hoffnungsvoll.

Heute, fünf Jahre später, wissen wir, dass der Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist. Netanjahu ist noch immer Ministerpräsident – schon 2019 hat er Ben-Gurion in der Dauer der Amtszeit überholt –, und die politische Landschaft in Israel wirkt zerrüttet. Das prägte naturgemäß auch die Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals, die heuer leider im nicht gerade repräsentativen Multiplex-Center „Village Cinemas“ stattfand.
Historiker Tom Segev begann seine Rede cinephil: Als seinen ersten Film habe er 1955 mit zehn Jahren „Sissi“ mit Romy Schneider gesehen – und geglaubt, die Kaiserin sei eine mythische Figur. In einem auf andere Weise einen Mythos fördernden Film habe er dann mit 15 sogar mitgespielt – „an der Seite von Paul Newman“, als jugendlicher Statist in „Exodus“ (1960), der die letzten Monate der britischen Mandatszeit vor der Staatsgründung Israels schildert. Auch über diese hätten sich Mythen gebildet, sagte Segev, etwa dass damals so gut wie keine Araber vertrieben worden seien. Oder dass alle Juden damals in Israel gleich willkommen waren: „Vor allem Juden aus arabischen Ländern wurden diskriminiert.“

Als Nestbeschmutzer beschimpft

Als junger Historiker in den Achtzigerjahren war Segev führend an der Aufarbeitung von Archiven beteiligt, die solche Mythen widerlegten, erzählte er. Er sei damals als Nestbeschmutzer, ja: als Verräter beschimpft worden: „Viele Israelis hatten es schwer, sich von ihren alten Mythen zu trennen.“ Leider würden heute wieder Dokumente verschlossen, und es gebe „neue Historiker, die versuchen, die alten Mythen wieder auf die Beine zu bringen“. So sei es „heute zu leicht, Israel zu diffamieren“, das dennoch jedenfalls eine Erfolgsgeschichte sei: „Wir haben so viel zu verlieren.“

Zumindest damit zeigte sich Mordechai Rodgold, Israels Botschafter in Österreich, d'accord. Wobei er, wohl auch seiner Funktion gehorchend, andere Akzente setzte: „Natürlich ist Israel nicht perfekt, wie kein Staat perfekt ist“, sagte er und meinte, dass die derzeitigen Demonstrationen „die Demokratie und Debattierkultur in Israel“ zeigen. Dort sei die Vielfalt besonders wichtig.

Komödie aus den Suburbs von Tel Aviv

Einen Blick auf einen Teil dieser Vielfalt bot der Eröffnungsfilm. Bei dessen Wahl hatten die Veranstalter wohl der Maxime gehorcht: Just in schweren Zeiten braucht man Komödien! Stimmt, vor allem wenn es eine so subtile Komödie ist wie diese. In „Karaoke“ von Moshe Rosenthal unterliegt ein älteres, schon leicht ermattetes Ehepaar der magnetischen Wirkung eines üppigen Playboys (mit Maserati!), gespielt von Lior Ashkenazi, laut Programmheft bekannt als „Israels Cary Grant“. Mit seiner lauten Lebenslust erregt und verwirrt er den ganzen Wohnblock wie Peeperkorn die Insassen im „Zauberberg“. Im Trubel und Streit spielen offenbar diverse Klischees über Bevölkerungsgruppen mit – etwa die alte Unterscheidung zwischen Sepharden und Aschkenasen –, und auch wenn man nicht alles versteht, es nährt das Interesse an diesem so kleinen und trotz aller Konflikte so liebenswerten Land. Und das ist wohl auch ein gutes Motiv für dieses Festival, das bis 3. Mai über 30 Filme zeigt.

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