Deutsche Forscher haben die US-Hitparaden von 1946 bis 2020 analysiert. Ergebnis: Bis 1974
Das Lautstärkeverhältnis zwischen erster Stimme („lead vocals“) und Instrumentalbegleitung in der Populärmusik ist über die Jahrzehnte geschrumpft: Dieses Ergebnis von Forschern um Karsten Gerdes (Universität Oldenburg) mag auf den ersten Blick überraschend klingen. Doch es ist gut erklärbar, wenn man bedenkt, dass dieses Verhältnis im Untersuchungszeitraum (1946 bis 2020, ausgewertet wurden die jeweils ersten vier Plätze der Billboard-Charts) nur bis 1975 kleiner geworden ist, seither bleibt es konstant.
Das entspricht dem Siegeszug des Pop auf Basis von Rock 'n' Roll bzw. Rhythm 'n' Blues, also der Rockmusik, in der vor allem die elektrische Gitarre eine wesentliche Rolle spielt. Und zwar nicht nur in Solos, sondern auch in Form von Riffs, repetitiven Phrasen. Sie ist oft so etwas wie eine zweite Stimme. Pointiert gesagt: Mick Jagger war nicht leiser als Frank Sinatra, aber Keith Richards war lauter. Besonders krass ist das Zurücktreten der Stimme freilich in manchen Metal-Spielarten. Im ästhetisch konservativen Country ist sie dagegen relativ laut.
Die deutschen Forscher, die sich auf Software zur automatisierten Auftrennung der Aufnahmen in vier Kanäle (Gesang, Bass, Schlagzeug, Rest inklusive Gitarren) verließen, orten freilich noch einen zweiten Grund für den Trend: Fortschritte in der Aufnahmetechnik. So hätte das stereophone Abmischen bewirkt, dass die Klangquellen einen räumlichen Platz bekommen und so deutlich unterscheidbarer würden. Weil die anderen Instrumente räumlich verteilt sind, könne der Leadgesang leiser gemacht werden und sei trotzdem noch hörbar.