Unterwegs

Nature is healing

Das touristische Zentrum von Brüssel ist wieder jener Abgrund wie vor Covid.

Neulich war es 20 Jahre her, dass ich mich erstmals in Brüssel niederließ. Und damals galt mir dieselbe Maxime wie heute: Das touristisch verwüstete Zentrum der Stadt, „Îlot Sacré“ genannt, hat man zu meiden wie die Pest. Das ist einerseits sehr schade, denn hier liegen Perlen wie die Galeries Royales Saint-Hubert aus dem 19. Jahrhundert, in denen schon Flaubert, Hugo, Verlaine oder Aznavour wandelten, und natürlich die wunderschöne Grand-Place. Auch ist diese Stadtmitte anmutig angelegt, in sanftem Schwung gleiten ihre Gassen von der Place Royale hinab.

Nur leider wurde all diese urbane Pracht spätestens seit den 1960er-Jahren gnaden-, herz- und geschmacklos versaut. Man führe sich allein die Fressgasse der Rue des Bouchers vor Augen: ein überteuerter Wirt neben dem anderen, vor deren Schanigärten schmierige Ober Passanten behelligen wie einige Straßenzüge weiter die Prostituierten beschwipste Nachtschwärmer. Hier wohnt auch kaum jemand mehr, denn wer würde in diesem dystopischen Disneyland für Pauschaltouristen Kinder großziehen wollen?

In der Pandemie war das Îlot Sacré wie ausgebombt. Da wurde, mangels Menschenmassen, erst deutlich, was für eine städteplanerische Niederlage Brüssels Zentrum ist. Ich spazierte dort manchmal herum und dachte mir: Vielleicht erkennen die Ädilen meiner Stadt diese Zeichen der Zeit und gebieten dem Ramschtourismus Einhalt.

Doch weit gefehlt. Auch in Belgien ist die Pandemie vorüber. Und als ich dieser Tage doch einmal ins Zentrum musste, konnte ich nur betrübt feststellen: Es ist alles wie früher – also schlimmer.

oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2023)

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