Einmal Öffis lenken: Millimeterarbeit im Schwerfahrzeug

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Einmal Bus und Straßenbahn lenken - "Die Presse" lebte den Bubentraum für einen Nachmittag. 44 Tage Ausbildungsdauer hören sich oberflächlich betrachtet nach einer gemütlichen Zeit an. Doch der Schein trügt.

Wien. Ich bin ein böser Mensch. Nur mit Mühe gelingt es mir, ein breites Grinsen zu verstecken, als ich ins Gesicht des eben noch über den Zebrastreifen geeilten Mannes sehe. Die Tür ins Innere der Straßenbahn öffnet sich nämlich nicht. Da kann er fluchen, wie er will. Pech gehabt, Journalistenfahrt. Das ist nun die Rache für die gezählten tausend Mal, die mir die Straßenbahn – mit Blickkontakt zum Fahrer – selbst vor der Nase weggefahren ist. Zufrieden drücke ich den Joystick nach vorne und der 45-Tonner rollt aus der Station.

„In der Ausbildung lernen unsere Fahrer so etwas nicht“, sagt mein Fahrlehrer Thomas Linsmeier. Er ist Chefinstruktor bei den Wiener Linien und bringt Interessierten in 44 Tagen das Straßenbahnfahren bei. Während dieser Zeit lernen sie, dass auf heraneilende Fahrgäste zu warten ist. Zumindest theoretisch.

Oberflächlich betrachtet hört sich die Ausbildungsdauer nach gemütlichen eineinhalb Monaten an. Denn, viel muss man wohl nicht lernen, wenn selbst ein Frischling wie ich die 35 Meter lange Fuhre mit nur zwei Fingern am Hebel 60km/h schnell über die Simmeringer Hauptstraße bewegen kann. Sogar die Weichen stellen sich von selbst.

Fahren als Nebensache

Leider ist das nur die halbe Wahrheit. Meinem wachsamen Beisitzer ist es zu verdanken, dass das 600-PS-Gefährt inklusive weiterer Fahrschüler nicht schon in der ersten Kurve aus den Schienen springt. „Fahrgastschonendes Beschleunigen und Bremsen“ will ebenso gelernt sein wie die Bedeutung der ungefähr 100 anderen Knöpfe im Führerstand. Straßenbahnfahrer tun nämlich mehr als nur fahren. Virtous kümmern sie sich um Klimaanlage, Beleuchtung, Fahrgastsicherheit und Zeitplan. Quasi nebenbei ist der Verkehr zu beachten. Beim Gedanken an spielende Kinder am Straßenrand tritt mir der Angstschweiß auf die Stirn. Denn trotz dreier Bremssysteme verzögert die Riesenfuhre nur sehr zögerlich. Zum Glück stehe ich unter Beobachtung. Anhalten, aussteigen, Fahrzeugwechsel.

Mein Fahrlehrer wartet schon. „Gestatten, Hrbek, Manfred Hrbek.“ Der Mann hat Schmäh und Nerven wie Drahtseile. Nach einer kurzen Einschulung („Links Bremse, rechts Gas“) lässt er mich mit einem ausgewachsenen Linienbus (zwölf Meter lang, zwölf Tonnen schwer, 205 PS stark) auf das Gelände der Simmeringer Zentralwerkstätte los. Dort machen gerade hunderte Mitarbeiter gleichzeitig Feierabend. „In den Spiegel schauen und Seitenabstand halten, dann geht das schon.“ Er sollte recht behalten. Bei den autobahnbreiten Betriebsstraßen kein Wunder.

Wie es Hrbek und seine Schüler schaffen, die mit Außenspiegeln drei Meter breiten Busse vollbesetzt und zügig durch enge Innenstadtgassen zu zirkeln, wird mir jedoch ewig ein Rätsel bleiben. „Presse“-Leser sollen es bezeugen: Nie wieder will ich mein Privatauto schlampig neben der Fahrbahn parken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.