Gastkommentar

Denkmal: Kerzengerade in die falsche Richtung

Die Jury zur Lösung des Lueger-Problems muss in einer Sache entscheiden, die schon längst entschieden ist.

Der Autor

Otmar Rychlik (* 3. Juli 1956) ist Kunsthistoriker, Hochschullehrer und Gründer des Museums des Nötscher Kreises.

Aus dem obskuren „Ausschreibeverfahren“ um die „Kontextualisierung“ des Lueger-Denkmals kann nur einer als Sieger hervorgehen, und zwar Klemens Wihlidal, der Schöpfer der Schrägstellung des umstrittenen Altwiener Bürgermeisters. Bereits an der Jahreswende 2009/10 gab es eine ambitionierte Ausschreibung unter der Projektleitung von Martin Krenn am Institut für Kunstwissenschaften an der Angewandten. „Die Jury hat aus 220 internationalen Einreichungen den Entwurf des Wiener Künstlers Klemens Wihlidal ausgewählt.“ Das müsste eigentlich genügen: Aus unglaublichen 220 Einreichungen wurde Wihlidal zum Sieger gekürt. Die Jury hat damit eine hervorragende Wahl getroffen; das Lueger-Problem wäre ein für alle Mal behoben gewesen.

So klein die vorgeschlagene Intervention, so großartig der künstlerische Gedanke, der dahintersteht. Erst in jüngster Zeit haben sich Stimmen gemeldet, die das begriffen haben, und vehement für Wihlidals Entwurf eintreten. Eva Blimlinger hält Wihlidals Entwurf rundweg für besser als ihren eigenen, dem Lueger-Denkmal ein Herzl-Denkmal gegenüberzustellen – was doch Größe beweist. Michael Köhlmeier hat sich dann (in dieser Zeitung) Hals über Kopf in die Bresche geworfen und damit – im Gegensatz zu allen irgendwie mit Kunst befassten Wiener Funktionärinnen und Politikern – bewiesen, dass er tatsächlich etwas von Kunst versteht: von der Idee als dem einzigen und unabdingbaren Wesen künstlerischer Qualität. Die Größe der kleinen Intervention Wihlidals hält er – in einer köstlichen intellektuellen Volte – für geeignet, „von der ganzen Welt“ übernommen zu werden. Die Denkmäler aller Übeltäter aller Zeiten und aller Länder: schräg gestellt!

In der Zwischenzeit, mehr als ein Jahrzehnt nach Wihlidals Entwurf, hat sich die schwerfällige Maschinerie der Wiener Kulturpolitik endlich in Bewegung gesetzt – und zwar kerzengerade in die falsche Richtung. Statt den Wihlidalentwurf ohne Wenn und Aber umzusetzen, wurde zuerst die Freunderlwirtschaft bemüht und ganz ohne Ausschreibung ein „Übergangsprojekt“ auf dem Lueger-Platz realisiert.

Da wärmt ein Händchen das andere – so läuft Korruption im Kunstrevier; alles verhabert, alles mit links, alles unter sich. Und so kommt es dazu, dass statt Klemens Wihlidal für seinen tat-sächlich genialen Entwurf, eine Paarung namens Six & Petritsch den Auftrag für ein „Übergangskunstwerk“ bekommen hat, mit einem Ergebnis von jämmerlicher künstlerischer Qualität. Eine Bastelarbeit, mit der man den Prater, aber nicht Lueger kontextualisieren kann; und das für den horrenden Preis von 100.000 Euro. Wihlidal hat noch kein Geld gesehen; Six & Petritsch können sich dafür in Grund und Boden genieren – gehören außerdem schief gestellt, wie alle schlechten Künstler dieser Welt.

Alles Ignoranten!

Zwischenzeitlich hat die Wiener Kulturmaschine Dampf abgelassen und „eine Grundsatzentscheidung getroffen“, wie es im „Standard“ so schön heißt. Die betraf absurderweise eine neuerliche Ausschreibung, „die Statue soll nun künstlerische kontextualisiert werden“ – als wäre das durch Wihlidals ohnehin unübertrefflichen Entwurf nicht schon geschehen! Dann wurde eine riesige Jury einberufen. Alles Ignoranten, die sich einfach zu Wihlidal hätten bekennen können – und schon wäre die leidige Sache erledigt gewesen. Jedenfalls befindet sich diese Jury jetzt in der unangenehmen Schieflage (Schrägstellung), in einer Sache entscheiden zu müssen, die eigentlich längst schon entschieden ist. Denn der Sieger muss Klemens Wihlidal heißen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2023)

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