Literatur

Wie allzu bekanntes Glückskeksgut

Alfred Goubrans Erzählung „Die Hoffnungsfrohen“ fehlt es vor allem an einem: der Fantasie. Dafür gibt es zu viel Mystik, Schachtelsätze und Fremdwörter.

Verwunschen, im gebirgigen Irgendwo zwischen Österreich und Italien, dort liegt das „Schwarze Schloß“, dessen Vorstellung die Leser:innen bereits aus Alfred Goubrans „Durch die Zeit in meinem Zimmer“ (2014) kennen. Schon darin treffen wir auf den Außenseiter und vom Aufbruch aus der Lethargie träumenden Elias. Mittlerweile hat er, wie die Erzählung „Die Hoffnungsfrohen“ darlegt, in dem Kastell Zuflucht und sogar eine spezielle Aufgabe gefunden, nämlich die Bestände der dortigen Bibliothek zu ordnen.

Klingt öde – ist es leider auch. Lange Zeit weiß man überhaupt nicht, was uns diese kaum eine Abschweifung auslassende Prosa überhaupt mitteilen will. Statt Charakteristisches über den Helden oder seine Pläne für die weitere Reise zu erfahren, bildet das Werk vor allem dessen Lektüre verschiedener Studien und Schriften ab. Neben einer diffusen Allerweltskulturkritik über die – ganz was Neues! – perfide Erfindungsgabe der Lebensmittelindustrie und den allgemeinen „Reinheitswahn“ erfahren wir mal etwas über „Psychone“, also „Geisterhunde“, die aus Empfindungen Gedanken hervorgehen lassen, mal etwas über die die Creutzfeld-Jakob-Krankheit auslösenden Prione. Ihnen gibt das Werk eine große Bühne. Da sie „das Gehirn nach und nach in ein schwammartiges Gebilde umwandeln“, dienen sie dem 1964 in Graz geborenen Autor zugleich als eine Großmetapher. So infektiös sie auf einen Körper und insbesondere dessen zentrales Denkorgan wirken, so sinnesverändernd können ebenfalls die Effekte des Lesens ausfallen. Wohl auch deswegen betont der Text nachdrücklich den Einfluss äußerer Wissensbestände auf das Innere, wenn beispielsweise mehrfach die Rede von der „Gedankenwelt“ ist, „die unseren Kopf umschließt, deren Widerschein oft in Visionen als Mandorla, Aureole, Glorie, Heiligenschein und Strahlenkranz geschaut wurde“. Auch wenn Goubran seine Figuren, darunter auch die Elias den Kopf verdrehende Tochter des Gutsherrn Isabel, oberflächlich über Halluzinationen hervorrufenden Degenerationen sprechen lässt, geht es ihm somit implizit vor allem um vergleichbare Dynamiken durch das Erzählen. Zumindest potenziell vermag es sämtliche Wirklichkeitskonstanten außer Kraft zu setzen und einen uns in gänzlich entlegene Räume führenden Sog zu entfachen.

Nichts mehr und nichts weniger als Grenzerfahrungen stehen daher im Mittelpunkt des Geschehens. Sie spiegeln sich genauso in der topografischen Zone zweier Länder wie in den unterschiedlichen Epiphanien in der Bibliothek und tragen dazu bei, dass das Ich in der permanenten Konfrontation mit dem anderen über sich hinauswächst. Frei nach der Devise: Es gibt „kein Dasein ohne Fremdsein“.

Buch

Derlei Gleichungen, die stellenweise noch von diverser Esoterik und Mystik flankiert werden, erweisen sich nicht nur als altbekanntes Glückskeksgut. Vielmehr sind sie Teil einer Gesamtkomposition, die einen intelligenten Anschein zu verleihen sucht. Sieht man von dem ausgeprägten Namedropping (von Agrippa von Nettelsheim bis Athanasius Kircher) und der Theorie-Jonglage ab, so fällt allen voran der akademische Stil ins Auge. Gekünstelte Schachtelsätze und Fremdwörterreihungen überwölben alles, was noch den Hauch einer erzählenden Prosa vermitteln will. Die Geschichte samt ihrer staffageartigen Figuren gleicht einer faden Kulisse. Tja, wäre doch dann wenigstens der Vordergrund lohnenswert. Aber dafür fehlt ihr, um im Bild der maroden Gesundheit zu bleiben, schlichtweg ein Medikament: genügend Fantasie!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2023)

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