Derby-Kultur

Europas Fußball-Hochburgen und ihre Derby-Kultur

Scottish Premiership - Rangers v Celtic
Scottish Premiership - Rangers v CelticAction Images via Reuters
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Vom Ruhrgebiet bis nach Barcelona und Glasgow. Wo der Fußball Grenzen zieht.

Im Ruhrgebiet lässt das Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 aus dem gerade einmal 30 Kilometer entfernten Gelsenkirchen die Emotionen hoch gehen (160 Pflichtduelle). Resultieren viele Rivalitäten zwischen Klubs aus den höchst unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kreisen, in denen sie zu Beginn ihre Anhängerschaft rekrutierten, ist jene zwischen diesen beiden Klubs erst gewachsen. Denn historisch gesehen teilen sie sich die Geschichte und das Verständnis als Arbeiterverein, der die Tugenden des Ruhrpotts verkörpert. Während Schalke früh erfolgreich war, musste Dortmund länger auf den ersten Erfolg warten. Ein später Treffer sicherte dem BVB 1947 im Duell mit Schalke die Westfalen-Meisterschaft – der Beginn der heute gelebten Rivalität.

London verfügt mit gleich sechs Klubs in der Premier League über die breiteste Derbybühne, die Gemüter am meisten erhitzt traditionell das Nordlondoner Duell (193 Auflagen) zwischen Arsenal und Tottenham, deren heutige Stadien nur knapp vier Meilen auseinander liegen. Schon als das erste Aufeinandertreffen 1887 wegen Dunkelheit beim Stand von 2:1 für die Spurs abgebrochen und der Sieg nicht anerkannt wurde, gingen die Wogen hoch. Einigkeit herrscht bis heute nur in der Skepsis gegenüber jenen 15 Spielern (zuletzt Emmanuel Adebayor), die die Trikots beider trugen.

Aber auch in Manchester, wenn United und City aufeinandertreffen, oder in Liverpool (Merseyside: Liverpool vs. Everton) gehen die Wogen saisonal immer wieder hoch.

Glasgow beherbergt die „Mutter aller Derbys“, die „Old Firm“ zwischen Celtic und Rangers ist mit 436 Begegnungen, die erste fand 1888 statt, eine der ältesten und brisantesten der Welt. Am Samstag gewannen die Rangers mit 3:0.

Die Rivalität beider Klubs entwickelte sich aus religiös beeinflussten Weltanschauungen in Großbritannien: Celtic für die katholischen Befürworter des irischen Republikanismus, die Rangers für die anglikanischen Unionisten. Davon zeugen bis dato irische Fahnen bzw. Union Jack bei kaum schottischen Fahnen auf den Rängen. Die Zeiten, als die Klubs einem ungeschriebenen Verbot zufolge keinen Spieler der „falschen“ Glaubensrichtung verpflichteten oder auf den Rängen hochpolitische Lieder skandiert wurden, sind (auch dank Uefa-Druck) jedoch vorbei.

Wer in Athen schon einmal in den Genuss von Wirbel, Schlägereien, Tränengas, massivem Polizeieinsatz und unfassbar lauten Chorälen oder einem Platzsturm gekommen ist, der war zweifelsohne bei einem Derby. Panathinaikos (20 Titel), Olympiakos (47 Mal Meister) und AEK respektive deren Anhänger schenken sich nichts, weder im Fußball noch im Basketball oder Volleyball. Pyrotechnikshow und Böller zählen zur Standardausrüstung, die Güte des Athener Fußballs erlebt hingegen seit Jahren einen schleichenden Niedergang. Auch in Thessaloniki sticht ein Duell ins Auge. Wenn Paok und Aris aufeinandertreffen, ist die Stadt im Ausnahmezustand. Dann kann es mitunter auch passieren, dass Klubchef Ivan Savvidis erbost auf das Feld stürmt und Fotos seines Colts das Land in Atem halten.

Barcelona hat eines der unausgeglichensten Derbys Europas, denn die Rollen sind auch im 216. Duell klar: Der große FC Barcelona könnte heute (21 Uhr, live, Dazn) beim kleinen Bruder Espanyol den spanischen Meistertitel fixieren. Nicht einmal ein Jahr liegt zwischen den Gründungen der beiden Klubs (1899 bzw. 1900), womit sie zu den ältesten des Landes zählen, und doch verfolgten sie völlig unterschiedliche Philosophien. Während Barça-Gründer Joan Gamper seinem „Football Club“ eine katalanische Identität mit internationalem Flair verpasste, wandte sich Espanyol dem spanischen Nationalismus zu und trägt seit 1912 offiziell den Zusatz „Reial“, katalanisch für königlich, im Namen – der prestigeträchtigere Vergleich für Barcelona ist dennoch jener mit Real Madrid im Clásico.

Istanbul hat gleich drei Stadtderbys mit Tradition, denn hier spielen Beşiktaş (1903 gegründet), Galatasaray (1905) und Fenerbahçe (1907) um die Vorherrschaft. Mit ihnen fiebern Fußballfans quer durch das ganze Land mit, denn Umfragen zufolge identifizieren sich fast 90 Prozent der türkischen Bevölkerung mit einem der drei Großklubs. Nicht nur Europa und Asien duellieren sich, es sind die gesellschaftspolitischen Aspekte, die das Feuer zwischen den Fanlagern schüren. Während die wirtschaftliche wie politische Elite bei Galatasaray und Fenerbahçe zu Hause ist, gilt Beşiktaş als rebellischer Underdog. So hitzig es regelmäßig zwischen den verfeindeten Lagern zugeht, sie können auch anders: 2013 zeigten sie sich in den Protesten gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan vereint.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2023)

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