Wort der Woche

Neusiedler See: Schilfgürtel in kritischem Zustand

Nicht nur der niedrige Wasserstand des Neusiedler Sees macht Sorgen: Auch der Schilfgürtel ist in einem kritischen Zustand.

Dass der Neusiedler See in einem problematischen Zustand ist, liegt nicht nur an den ausbleibenden Niederschlägen. Auch ein zweites wesentliches Element des Steppensees macht Sorgen: der 100 Meter bis mehrere Kilometer breite Schilfgürtel. Mit 181 Quadratkilometern handelt es sich um die nach dem Donaudelta zweitgrößte Schilffläche Europas (Zum Vergleich: Die offene Seefläche umfasst rund 140 km2.) Wie man in dem umfassenden und sehr gut gelungenen Buch „Das Ende des Neusiedler Sees?“ (269 S., Residenz Verlag, 35 Euro) erfährt, schwankt die Ausdehnung des Schilfgürtels über die Zeit stark, v. a. abhängig vom Wasserstand. Der heutige Schilfgürtel ist erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zur aktuellen Größe angewachsen.

Die Pflanzen sind ein einzigartiger Lebensraum für Vögel, Insekten, Amphibien etc. und üben wichtige Funktionen aus: So werden im Schilfgürtel Nährstoffe umgesetzt, auch im Sinne einer „Kläranlage“ für den See. Das Wasser im Schilfgürtel ist anders als im offenen See: Während letzteres durch natürliche Mineralstoffpartikel weißlich-trüb ist, ist das Wasser im Schilfgürtel gelb-braun und klar – weil die Schwebstoffe zwischen den Halmen absinken und sich Abbauprodukte abgestorbener Pflanzen (Huminstoffe) auflösen.

Wie namhafte Fachleute in dem Buch ausführen, zeigen Untersuchungen des Schilfgürtels eine „Überalterung und ein fortschreitendes Schilfsterben“. Vielfach liegen tote Halme kreuz und quer im Wasser; deren biologischer Abbau verbraucht Sauerstoff, in der „Knickschicht“ wird dieser knapp. In dieser anoxischen Zone bildet sich toxischer Schlamm, der das Schilfwachstum behindert und weiteres Absterben hervorruft. Die Ursachen für das Schilfsterben reichen vom jahrzehntelang stabilisierten Wasserspiegel (durch eine Schleuse im Einser-Kanal) über vermehrten Nährstoffeintrag bis hin zu Schilfschnittschäden (aufgrund des klimabedingten Fehlens von tragfähigem Eis).

Die Fachleute wüssten, was dagegen getan werden könnte. Aber die Maßnahmen sind nur schwer durchführbar: Am wichtigsten wäre eine Erhöhung der Wasserschwankungen – entgegen dem bisherigen Bestreben, den Wasserpegel möglichst konstant zu halten. Als sinnvoll wird auch ein kontrolliertes Abbrennen des Schilfes angesehen – was derzeit im Sinne der Luftreinhaltung verboten ist.

Aber vielleicht regelt sich das ohnehin von selbst: Durch den stetig sinkenden Wasserspiegel kann Sauerstoff zur abgestorbenen Biomasse vordringen, die dann schneller abgebaut wird . . .


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2023)

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