Interview

Muchitsch: "Dann schäme ich mich für meine Parteispitzen"

SPÖ-Mandatar und Spitzengewerk- schafter Josef Muchitsch in seinem Büro im ÖGB.
SPÖ-Mandatar und Spitzengewerk- schafter Josef Muchitsch in seinem Büro im ÖGB.Caio Kauffmann
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Im Juni steigt Josef Muchitsch auf zum Chef der roten Gewerkschafter – und wird damit zum Machtfaktor für die neue oder alte SPÖ-Führung, von der er „endlich Ruhe“ verlangt. Warum er die Mindestlohn-Pläne Hans Peter Doskozils ablehnt, von Ampel-Ansagen nichts hält und beim Thema Arbeitszeitverkürzung „Realo-Sozi“ ist.

Herr Muchitsch, Sie beklagten sich zum Jahreswechsel über „ständiges öffentliches Anpatzen“ in der SPÖ. Mit Blick auf die letzten Monate: Sehr viel genützt scheint Ihr Aufruf nicht zu haben.

Josef Muchitsch: Was soll ich dazu noch sagen? Das Wichtigste ist, dass mittlerweile alle einen Wunsch nach ganz oben gestellt haben: Dass es wieder zu Harmonie und Geschlossenheit innerhalb der SPÖ kommt. Nur eine starke und vereinte SPÖ kann Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen und dann wieder Wahlen gewinnen.

Ein Großteil der Partei hat sich im Machtkampf für eine Seite entschieden, es wird also viele Verlierer geben. Wie kann man diese Lager wieder vereinen?

Ich finde es grundsätzlich gut, dass man diesen Prozess der Mitgliederbefragung gestartet hat. Ob der gut abgewickelt und vorbereitet ist, darüber kann man streiten. Aber man kann nur dann Geschlossenheit zustande bringen, wenn die drei Wahlwerber das Ergebnis akzeptieren und danach gemeinsam zu Geschlossenheit aufrufen.

Sollte nur der Sieger der Befragung beim Parteitag antreten? Andreas Babler erwägt eine Kandidatur auch als Verlierer, Geschäftsführer Christian Deutsch sieht in der Wahl nicht mehr als ein „Stimmungsbild“.

Das hängt vom Ergebnis der Befragung ab. Es ist nicht bindend. Die weiteren Schritte hat der Vorstand nach der Befragung festzulegen.

Sie hätten also kein Problem damit, wenn der Zweite auch am Parteitag antritt?

Bei einer knappen Entscheidung wird es wohl eine Diskussion dazu geben. Aber ich hoffe, die erfolgt intern.

Wen haben Sie gewählt?

Ich bin einer der wenigen, die das Wahlgeheimnis tatsächlich leben. Weil es danach eine Zusammenarbeit geben muss, war ich nie ein Befürworter dieser klaren Deklarationen im Vorfeld.

Ihr Vorgänger an der FSG-Spitze, Rainer Wimmer, schon: Er hat sich sehr klar für Pamela Rendi-Wagner ausgesprochen.

Das war die persönliche Meinung von Rainer Wimmer.

Haben Sie Sorge, dass es im Fall eines Sieges von Rendi-Wagner turbulent bleibt und die Ausrichtungsdebatten weitergehen?

Egal, wer es wird: Es muss endlich Ruhe einkehren, dafür haben alle zu sorgen. Wenn der Streit mit dem Sonderparteitag am 3. Juni nicht beigelegt wird, dann schäme ich mich wirklich für meine Parteispitzen.

Ihre Kritik am öffentlichen Parteistreit galt vor allem Hans Peter Doskozil. Dessen zentraler Programmpunkt betrifft sie als bald mächtigster roter Gewerkschafter: Wie finden Sie seine Forderung nach einem Mindestlohn von 2000 Euro netto?

Wir wissen aus anderen Ländern, dass das nicht funktioniert. Wir haben in Österreich eine Kollektivvertrags-Abdeckung von rund 98 Prozent. Mit den jährlichen Lohnerhöhungen sind wir immer besser gefahren als jene Länder, in denen die Politik über Löhne entscheidet. Das darf nicht von der jeweiligen Zusammensetzung einer Regierung abhängig gemacht werden.

Kurzum: Sie brauchen Doskozils Mindestlohn also nicht?

Nein, den gesetzlichen Mindestlohn brauchen wir in dieser Form nicht. Wir sehen in anderen Ländern: Wenn eine nicht gerade arbeitnehmerfreundliche Regierung zum Zug kommt, bleiben Lohnerhöhungen aus. Das will ich nicht.

Zuletzt ging Doskozil in der Causa auf die Gewerkschafter zu: Vor einem Gesetz will er mit der Gewerkschaft am Mindestlohn arbeiten. Könnten Sie sich mit ihm einigen?

Jede Regierung und jeder Parteivorsitzende ist gut beraten, mit Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.

Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaftsspitze und Doskozil denn?

Die ist jetzt nicht notwendig, weil er nicht Parteivorsitzender ist. Aber ich gehe davon aus, dass die FSG ein wichtiger Partner sein wird, wer auch immer das gewinnt. Diese ausgestreckte Hand wird niemand verweigern.

Wie stehen Sie zur 32-Stunde-Woche bei vollem Lohn, wie Babler sie fordert?

Arbeitszeitverkürzung findet ohnehin statt. Nicht gesetzlich, aber über Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, da sind schon jetzt oft weniger als 40 Wochenstunden vorgesehen.

Ist die Frage auf betrieblicher Ebene besser aufgehoben?

Die Arbeitszeitverkürzung ist in der Realität nicht aufzuhalten. Irgendwann wird auch der Gesetzgeber nachziehen.

Wollen Sie gesetzlich die Arbeitszeit für alle verkürzen?

Ich bin da eher der Realo-Sozi: Es wird nicht auf Anhieb in allen Branchen gehen. Wir sollten wie in Großbritannien in einem Pilotversuch herausfinden, in welchen Branchen das möglich ist – und in welchen nicht. Wenn immer mehr Flexibilität gefordert wird, haben sich die Menschen auch mehr Freizeit verdient. Wo das nicht machbar ist, sollten wir nachdenken, wie man es in Etappen möglich macht.

Wie soll das gehen? Im Spital etwa wartet man jetzt schon ewig auf Termine, es gibt Bettensperren wegen des Personalmangels.

Genau. Wo es um Dienstleistungen geht – Pflege, Gesundheit, Sicherheit –, müssen wir schauen, wie wir den Vollbetrieb aufrechterhalten. Aber in anderen Bereichen, in denen Aufträge unabhängig von Wochentag und Tageszeit erfüllt werden, ist eine Arbeitszeitverkürzung sicher möglich.

Bis 2040 fehlen laut Wirtschaftskammer 360.000 Arbeitskräfte. Und dann soll es gescheit sein, jene, die jetzt Vollzeit arbeiten, auf 32 Wochenstunden runterzustufen?

Ist es gescheit, Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit zu nehmen, auf Vollzeit umzusteigen, obwohl sie das wollen?

Wer hindert sie denn am Aufstocken?

Manche Betriebe setzen bewusst auf Teilzeitbeschäftigte, weil Mehrarbeit dadurch billiger wird. Andere haben lieber zwei Teilzeitbeschäftigte als einen Vollzeitbeschäftigten. Überall, wo ein Vollzeitjob zu besetzen ist, sollen Teilzeitbeschäftigte einen Rechtsanspruch darauf haben. Und wir brauchen Rahmenbedingungen, dass Teilzeitbeschäftigte öfter aufstocken können. Da geht es um Kinderbetreuung und Pflege: Vor allem Frauen müssen oft Arbeitszeiten reduzieren, weil es kein Angebot für Kinderbetreuung gibt.

Nur an der Kinder- und Altenbetreuung kann es nicht liegen: Ein Drittel der kinderlosen Frauen zwischen 35 und 44 Jahren arbeitet nur Teilzeit. Bei den Männern ist die Rate viel niedriger. Woran liegt das?

Das werden überwiegend jene sein, die sagen, ihnen reicht der Teilzeitjob. Diese Selbstbestimmung soll aufrecht bleiben.

Türkis-Grün berät in einer Arbeitsgruppe Vollzeit-Anreize. Unterstützen Sie das?

Anreize sind immer gut, wenn sie dann tatsächlich greifen.

Sie haben diese Woche eine Verfassungsbeschwerde mit der FPÖ eingebracht. Kann man mit der FPÖ zusammenarbeiten?

Wenn es darum geht, dass 100.000 Menschen pro Jahr auf Lebzeiten die Pension gekürzt wird, darf nicht im Vordergrund stehen, welche Partei uns dabei unterstützt. Da muss die Sache im Vordergrund stehen.

Obwohl Ihre Parteichefin neuerdings sagte, die FPÖ sei „der wahre Feind“ der SPÖ?

Mir ist bei der Beseitigung von Ungerechtigkeiten jede Unterstützung recht. Auch von der FPÖ.

Den Regierungsparteien indes hat die SPÖ zuletzt jede Unterstützung versagt – womit große Klimaprojekte wackeln, weil sie eine Zweidrittelmehrheit erfordern.

Es ist demotivierend, wenn du in 16 Monaten über 30 Anträge zur Bekämpfung der Teuerung einbringst, die Regierungsparteien das blockieren und es bei jedem quasi heißt: SPÖ, putzt euch.

„Opposition ist Mist“, sagte SPD-Mann Franz Müntefering einmal.

Richtig. Oft kommt man sich verschaukelt vor. Deshalb wollen wir jetzt nicht weiter Steigbügelhalter für Gesetze sein, bei denen die Regierung ewig nichts zusammengebracht hat, sondern diese Rekord-Teuerung bekämpfen. Da muss sich die Regierung bewegen.

Was muss eigentlich konkret beschlossen werden, damit Sie die Blockade aufgeben?

Wenn es eine Mietpreisbremse und die Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gibt, wird es sicher leichter, wieder Zweidrittelmehrheiten zu finden.

Doskozil und Babler wollen eine Ampel-Koalition mit Grünen und Neos. Und Sie?

Bei diesen Rechenspielchen vor der Wahl ist es doch schade um die Zeit. Wir müssen ein Wahlergebnis erzielen, mit dem man mehrere Optionen hat.

Wie fänden Sie eine Große Koalition?

Jene, die jetzt an Armut leiden, sind der ÖVP kein großes Anliegen, Reiche zu schützen aber sehr wohl. Wenn das so bleibt, muss man sich als Sozialdemokrat schon die Frage stellen: Warum sollten wir mit der ÖVP eine Koalition machen? Aber letztlich hängt es vom Wahlergebnis ab – und von den handelnden Personen.

Kann man mit Herbert Kickl koalieren?

Herbert Kickl hat sich seit seiner Aufgabe als Innenminister sehr stark verändert. So sehr, dass eine Zusammenarbeit auf der Regierungsbank sehr schwierig schiene.

Sollte die SPÖ wieder regieren: Was wären aus FSG-Sicht die wichtigsten Projekte?

Es braucht eine Grundsicherung für Kinder. Das Zweite ist die Verteilung: mehr Netto-Einkommen für die vielen, mehr Steuern für die Reichen. Und eine Absicherung des Sozialsystems mit Beseitigung von Ungerechtigkeiten.

Werden Sie als FSG-Chef Ihr Mandat mitsamt Sozialsprecherrolle behalten?

Ja, das will ich behalten. Weil ich festgestellt habe, dass du vor dem Parlament mit 200.000 Menschen pfeifen und Transparente hochhalten kannst – gestaltet wird im Parlament. Deshalb ist es wichtig, dass die Gewerkschaften dort vertreten sind.

Steckbrief

Josef Muchitsch
ist Chef der Gewerkschaft Bau-Holz und wurde als nächster Bundesobmann der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter nominiert, die offizielle Kür findet am 20. Juni statt.

Der heute 55-jährige Steirer, er ist gelernter Maurer, sitzt seit 2006 für die SPÖ in Nationalrat und ist aktuell Sozialsprecher der Roten. Seit 2017 ist er zudem im „Weltrat“ der internationalen Baugewerkschaft.

Muchitsch lebt in Leibnitz, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2023)

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