Literatur

Im Kopf eines Coronaleugners

Lukas Meschik, 1988 in Wien geboren.
Lukas Meschik, 1988 in Wien geboren.Copyright: Alexander Mörth, Limbus Verlag
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Lukas Meschiks Ich-Erzähler interessiert sich für den Protest der „empörten Skeptiker“, die gegen die sogenannte Meinungsdiktatur wüten.

Zu Beginn schreibt Lester nur Briefe. Leserbriefe, denn er ist nicht einverstanden mit dem, was er liest. So beginnt seine Laufbahn bei den Empörten, von denen der Ich-Erzähler des neuen Romans des Wiener Autors Lukas Meschik berichtet. Als Fotograf dokumentiert Lester eine Bewegung, die ein diffuses, aber starkes Gefühl verbindet: Empörung. Empörung gegen die Regierenden, die vorherrschende Meinung, gegen eine „unhinterfragte Weltauffassung“, in einer Welt, in der es grummelt, die im Begriff ist heißzulaufen. Was die Empörten – keine Verrückten und Verschwörungstheoretiker:innen, sondern Skeptiker:innen – verbindet, ist das Gefühl, mit ihren Zweifeln nicht ernst genommen zu werden.

Unschwer lassen sich aktuelle Ereignisse und Debatten erkennen, die mündiges Hinterfragen zu zerstörerischem Zweifeln eskalieren ließen: die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, der Sturm auf das US-Kapitol. Bezüge, die aber, wie auch jene zur österreichischen Politik, höchstens elegant angedeutet und nicht ausformuliert werden. Es sind nicht die konkreten Anliegen, die Meschik interessieren, sondern die Mechanismen, die dahinterstecken: Was treibt Menschen an, die auf der Straße wüten gegen die sogenannte Meinungsdiktatur? Wessen Protest erfährt gesellschaftliche Anerkennung und welcher nicht? Denn dagegen sind die Empörten nicht, um dagegen zu sein, sondern auch sie handeln in der Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen. Es geht, so durchfährt den Ich-Erzähler die Erkenntnis, um eine der „drängendsten“ Debatten der Gegenwart. Es geht „um die Deutungshoheit über die Legitimität von Protest“.

Der Ich-Erzähler, eine Zufallsbekanntschaft Lesters, fühlt sich zunächst angezogen vom Modus des Hinterfragens – der „toxischen Skepsis“ –, in dem Lester operiert. Trotzdem will er aber nur Beobachter bleiben: Bei den Versammlungen der Empörten ist er nur da, aber nicht dabei, wie er betont. In vielen Momenten wirkt er geradezu abgekoppelt von dem, was er schildert. Zum Nachdenken zieht er sich in sein „kaltes Zimmer“ zurück, wo er sich abschotten und „sich die Dinge zurechtdenken“ kann.

Ein Einfall, der an Helmut Lethens bahnbrechende Studie „Verhaltenslehre der Kälte“ (1994) erinnert: Lethen analysiert darin Texte aus den 1920er-Jahren, die sich in ihrer Rhetorik immer wieder auf Kälte, Distanz und Trennung beriefen. Sich herausnehmen als Strategie, um mit Veränderungen und komplexen sozialen Situationen, der sich stetig vertiefenden Kluft zwischen Freund und Feind umzugehen. Hundert Jahre später bietet schließlich eine Beziehung dem Erzähler einen alternativen Ausweg: Sie bringt Momente der Verbundenheit, die ihn von Lester entfernen. Währenddessen gerät die Welt immer mehr aus den Fugen, aus dem Rumoren wird ein Donnern, immer tiefer werden die Gräben.

„Ach, Welt!“, ein gelegentliches Seufzen angesichts der Zustände kann sich Meschik nicht verkneifen. Die Argumentationsmuster, gesellschaftliche Mechanismen und Dynamiken abstrahiert er aber überzeugend von ihren Anlässen, macht so Verzweiflung und Verwirrung, Einsamkeit und Zusammenhalt nachvollziehbar. Er verbindet die präzise Beobachtung aktueller Debatten mit einem empathischen, warmen Blick: Ein Plädoyer, „die anderen“ ernst zu nehmen und ihnen so ihre Würde zuzugestehen, im Verständnis für das Gegenüber den Abstand zumindest etwas zu verkleinern. Dennoch: Das Unbehagen, das sich während der so fesselnden wie verstörenden Lektüre einstellt, bleibt im Anschluss noch lange erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2023)

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