Kriminalroman

Die Träume des Danny Ryan

Die Presse/Clemens Fabry
  • Drucken

Kriminalroman und griechische Mythologie als literarische Zwillinge? US-Autor Don Winslow macht es mit seiner Trilogie möglich. Der zweite Teil, „City of Dreams“, ist nun erschienen.

Krimiautor Don Winslow ist keiner, der halbe Sachen macht. Wer seine Drogentrilogie („Tage der Toten“, „Das Kartell“, „Jahre des Jägers“) gelesen hat, weiß das. Der besessene Rechercheur Winslow hatte den inneren Antrieb, jedem Opfer des bis in die USA metastasierenden Drogenkriegs in Mexiko gerecht zu werden. Die Lektüre von Leben und Leiden des Polizisten Art Keller war mitunter nur schwer erträglich, weil sie so stark mit der brutalen Realität verknüpft ist.

Es ist daher kein Wunder, dass sich Winslow auf seine aktuelle Trilogie, deren Mittelteil „City of Dreams“ bildet, ebenfalls akribisch vorbereitet hat. Er wollte keine normale, in den 1980er- und 90er-Jahren spielende Geschichte über zwei rivalisierende Gangsterbanden in der US-Stadt Providence schreiben. Nach eigenen Angaben tüftelte er zweieinhalb Jahrzehnte daran, ehe er seine Ideen zu Papier brachte. Und wie könnte es bei Winslow anders sein: Es ist ein epischer Stoff, geworden, diesmal im wahrsten Sinn des Wortes. Denn der ehemalige Privatdetektiv greift in seinem Werk auf die griechische Mythologie zurück. War der Auftakt, „City of Fire“, vor allem von Homers „Ilias“ geprägt, orientiert sich der zweite Teil nun sehr stark am Epos „Aeneis“, das der römische Dichter Vergil auf Grundlage von Homers „Ilias“ und „Odyssee“ geschrieben hat.

Mitte ohne Mittelmäßigkeit. In einem Interview mit dem Magazin „Esquire“ gibt der Autor zu, dass der Mittelteil einer Trilogie normalerweise jener Punkt sei, an dem die Bücher sterben. „Es ist der Friedhof von Trilogien“, sagt er. Da sei etwa die technische Herausforderung, all jene Leser auf die Reise mitzunehmen, die Buch eins nicht gelesen haben. Wie kann man ausreichend Wissen bieten, ohne die Leser mit Informationsmüll zuzuschütten?

Das eigentliche Hauptproblem sei es aber, Schwung und Geschwindigkeit richtig zu dosieren. Dabei hätte ihm der Rückgriff auf griechische und römische Klassiker geholfen, so der Amerikaner, der im Vorjahr verkündet hat, mit Ende der Trilogie („City of Ruins“ erscheint nächstes Jahr) schriftstellerisch Schluss zu machen. Im konkreten Fall habe er sich die Frage gestellt, was nach dem Trojanischen Krieg geschehen sei, der bei Winslow als Kampf zwischen irischen und italienischen Mafiabanden geführt wird.

Wie geht es also im Leben von Danny Ryan weiter, dem unterlegenen Iren, der am Ende von „City on Fire“ mit dem Leben, ein wenig Geld und ein paar seiner Vertrauten davongekommen ist? Aber auch: Wie geht es im Leben der eigentlich siegreich gebliebenen Italiener weiter? Was war ihr Triumph wert, der mit einem hohen Blutzoll einherging?

„City of Dreams“ spielt, zum Titel passend, zu einem großen Teil in Hollywood, das gern die Stadt der Träume genannt wird. Ausgerechnet in dieser Welt voller Glitzer und Glamour versucht Danny, seiner Vergangenheit zu entfliehen, was ihm zu Beginn auch gelingt: Er lernt die Schauspielerin Diane, die gerade einen Entzug hinter sich hat, kennen und lieben. Die zwei geschundenen Seelen scheinen wie Balsam füreinander zu sein. Doch es wäre Hollywood und kein klassisches Drama, bliebe es dabei.

Wer könnte Odysseus sein? Es ist Winslows große Leistung, dass man als geschichtlich und mythologisch unbedarfter Krimileser an der City-Trilogie ebenso seine Freude hat wie als Liebhaber jahrtausendealter Stoffe. Wer könnte in dieser modernen Version Odysseus sein, wer Dido, wer Aphrodite? Winslow hat ein vielschichtiges Werk verfasst, reich an vielen wahrhaftigen Momenten, das letztlich aber in erster Linie all das abhandelt, was das Menschsein ausmacht: Freundschaft, Feindschaft, Liebe, Loyalität, Hass und Gier. Diese Themen haben sich seit Homer und Vergil nicht grundsätzlich verändert.

Der Krimiautor, der sich mittlerweile dem Kampf gegen eine Wiederwahl von Ex-US-Präsident Donald Trump verschrieben hat, schreibt ganz nach dem Motto: Warum etwas zwanghaft neu erfinden, wenn es sich so wunderbar interpretieren lässt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.