Psychologie

Clever ist, wer sich ab und zu vertut

Mit Hightech wollen Experten der Fachhochschule Vorarlberg Menschen beim Lernen unterstützen. Was zunächst paradox klingt: Künstliche Intelligenz soll die Lernenden dazu anleiten, Fehler zu begehen.

Wer lernt, macht Fehler, heißt es. Dass Fehler aber nicht grundsätzlich etwas Schlechtes sind, ist der Ansatz, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungszentrums für Human-Centred Technologies an der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn verfolgen.

„Aus Fehlern kann man lernen“, sagt Zentrumsleiter Guido Kempter. Der Psychologe geht so weit, dass er in seinem neuesten, von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Projekt Lernende dazu verführen will, solche „nützlichen“ Fehler zu begehen – und zwar mithilfe künstlicher Intelligenz (KI).

„Dabei geht es nicht um das Aneignen von Faktenwissen, sondern um den Erwerb von Fertigkeiten, wie sie Berufsanfänger oder Lehrlinge für ihre spätere Tätigkeit beherrschen müssen“, stellt er klar. Aus dem Grund arbeitet die FH eng mit Vorarlberger Unternehmen zusammen. „Mechaniker beispielsweise wenden beim Zufeilen eines Metallstücks optimale Bearbeitungswinkel und Druckausübungen an“, erklärt Kempter. „Die KI lernt, welche Fehler und welches Feedback zu diesen Fehlern sich positiv auf das Lernen auswirken, und leitet dann andere Lernende dazu an, ähnliche Fehler zu machen, damit auch sie ihr Verhalten korrigieren können.“

Die Rückmeldungen erfolgen z. B. über eine Sprachausgabe oder mithilfe optischer Hinweise. Dafür nutzt das Team rund um den Projektverantwortlichen Patrick Jost die Möglichkeiten von Augmented Reality und Virtual Reality: Der Lernende trägt eine spezielle Brille, in der ihm die vorgeschlagenen Arbeitsschritte angezeigt werden.

Beim Korrigieren lernen alle

„Die KI-getriebene Lernbegleitung entscheidet datengetrieben über den Grad der Visualisierung“, sagt Kempter. „So kann die Lernerfahrung individualisiert erfolgen, von gesprochenen Hilfestellungen bis zu kaum wahrnehmbaren abstrahierten Lernhinweisen.“ Je nach Reaktion des Lernenden passt die KI ihre weitere Unterstützung an.

Ziel ist, die Auffassungsgabe des Lernenden in jeder Situation optimal anzuregen. „Auf die Weise kommt er von selbst drauf, welche Fehler welche Auswirkungen haben und wie die jeweilige Aufgabe am besten zu lösen ist.“ Gleichzeitig lernt auch die KI: Ihr bisher unbekannte Fehler von Lernenden nimmt sie ihn ihr Repertoire auf.

Die Brille kann aber mehr als nur Anleitungen geben. Sie erlaubt dem Lernenden, nicht in realer Umgebung, sondern in einer simulierten Situation zu üben. „Der Lernende braucht dann nicht wirklich in der Werkstatt zu stehen. Was er benötigt, ist sein Werkstück. Alles andere wird ihm über die Brille eingeblendet“, so Kempter. „Auch eine Baustelle kann man damit virtuell nachstellen.“ Diese Methode eigne sich vor allem dann, wenn die provozierten Fehler in der Realität zu gefährlichen Situationen führen könnten – etwa bei mechanischen Arbeiten, auf Baustellen oder auch bei körperlichen Untersuchungen an Menschen, wie sie in Pflegeberufen durchzuführen sind.

Die am Projekt beteiligten Unternehmen profitieren in mehrfacher Weise, hebt Kempter hervor: Sie können die Entwicklung KI-basierter Lernunterstützung speziell für ihre Zwecke in Auftrag geben, sie nutzen die technische Ausrüstung der Fachhochschule mit und bekommen am Ende die entwickelten Algorithmen zur Verfügung gestellt.

Lexikon

Augmented Reality (AR) erweitert die reale Umgebung, indem der Wahrnehmungswelt einer Person digitale Elemente hinzugefügt werden. Dabei kann es sich um eingeblendete Informationen zu realen Objekten handeln oder um zusätzliche Objekte.

In der Virtual Reality (VR) wird die Umgebung vollständig vom Computer erstellt. Die Nutzer können damit interagieren. Beide Techniken werden oft als Extended Reality (XR) zusammengefasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.