Konzertkritik

Muse in Wiener Neustadt: Stimmungsmacher Seelenpein

Sieht so gute Laune aus? Muse zeigen: Ja. Hinter der Maske: Sänger Matthew Bellamy.
Sieht so gute Laune aus? Muse zeigen: Ja. Hinter der Maske: Sänger Matthew Bellamy. MediaPunch / Action Press / pict
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Die britische Rockband Muse gastierte am Samstag im Stadion Wiener Neustadt. Sie pendelte vif zwischen apokalyptischer Düsternis und glückseliger Pop-Transzendenz.

Sturm auf die Bastille? Oder doch lieber Tanz auf dem Vulkan? Muse-Sänger Matthew Bellamy kann sich einfach nicht entscheiden. Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust: Die eine möchte das Publikum aufrütteln, zur Rage gegen die Maschine namens Gesellschaft animieren. Die andere hingegen findet es saugeil, sich bei jedem Gitarrensolo lässig in Rocker-Pose zu werfen.

Beim Samstags-Gastspiel des 44-jährigen Briten und seiner gut aufgelegten Bandkollegen im Stadion Wiener Neustadt einigten sich die beiden Animas Bellamys auf ein Unentschieden. Nach knappem Video-Intro legte die erste forsch los, mit „Will of the People“, dem titelgebenden Eröffnungs-Stampfer des jüngsten Muse-Albums (dessen Sprechchöre und Marschrhythmen sich recht unverschämt beim Marilyn-Manson-Hit „The Beautiful People“ bedienen).

„We'll smash your institutions to pieces“, drohte da Bellamy noch, mittels kristallhafter Reflektor-Maske gewappnet gegen jede Gesichtserkennungs-KI. Doch schon beim sich eingängig schlängelnden Bass-Riff von „Hysteria“ fiel die Verhüllung: Wir sind hier ja nicht bei Daft Punk! Im Laufe des zweistündigen Abends wich revolutionärer Geist zunehmend achselzuckender Indifferenz ob des lamentablen Zustands unserer Welt: Beim programmatischen Refrain von „We Are Fucking Fucked“ schien alle Hoffnung auf einen erlösenden Umsturz fahren gelassen. Das schuf freie Bahn für akrobatische Exerzitien auf Bellamys Griffbrett, begleitet von apokalyptisch fauchenden Feuer-Fontänen. Klimaneutral ist das nicht. Aber es fetzt.

Phantom der Oper in Glitzerjacke

Zwiespältigkeit ist der zentrale Spannungsmotor der Live-Shows von Muse. Die dreiköpfige Rock-Kapelle, die in den frühen 2000er-Jahren im Fahrwasser von Emo-Engländern wie Radiohead Weltruhm erlangte, pendelt formschön zwischen Brachial-Bombast und Bandkeller-Bescheidenheit. In Songs wie „Psycho“ wettert sie mit zwerchfellerschütternden Grooves und Panzer-Riffs gegen Militarismus. Bellamys Texte malen düstere Untergangs-Fresken voll Verschwörungsglauben und quälender Seelenpein. Doch aus diesem pathetisch-dystopischen Raunen erhebt sich ein ums andere Mal die frohe Kunde von der guten Laune, die Stadion-Rock uns noch immer bescheren kann.

Daher ist es auch kein Widerspruch, wenn Bellamy mit ironischen Zeilen wie „No more defiance/Just give us your compliance“ vor fremdverschuldeter Unmündigkeit warnt – und zugleich das Publikum anspornt, brav einen Synthesizer-Beat mitzuklatschen. Oder dass er bei „Thought Contagion“ – souverän sekundiert von Bassist Chris Wolstenholme und Drummer Dominic Howard – von „buried war crimes“ und „infinite black skies“ klagt, um dann in eine deftige Gröl-Melodie wie beim Après-Ski überzuleiten. Mal versenkt sich Bellamy dramatisch in sein Keyboard, stimmt Bachs d-Moll-Toccata an, macht einen auf Phantom der Oper. Dann stolziert er wieder wie ein fußmaroder Justin Timberlake in Glitzerjacke über die Bühnenrampe – und schmachtet wegen „Undisclosed Desires“, während Konfetti wie Schnee gen Tribüne schwebt.

Zur größten Gefühlsentladung führten am Samstag aber die ältesten Muse-Hadern: „Plug In Baby“, „Time is Running Out“, kurz vor der Zugabe dann noch das sehnsuchtsvolle „Starlight“: In dessen Licht schmolz aller Weltschmerz dahin, sublimiert zu kollektiver Seligkeit. Beglückt taumelte die zahlreiche Zuschauerschaft zum Shuttle-Bus, am Himmel der Nacht von Dröhnlein bewacht.

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