Hunger-Bühler: „Die Zürcher implodieren“

(c) Clemens Fabry
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Er war Peter Steins Mephisto, nun spielt er in der ersten Botho-Strauß-Uraufführung am Burgtheater. Schauspieler Robert Hunger-Bühler über Botho Strauß, die Computerwelt, Zürich und das Verlässliche an Wien.

Die Presse: Sie haben von 1974 bis 1981 in Wien gelebt. 2001 waren Sie ein viel gelobter Mephisto in Peter Steins „Faust“-Inszenierung, die auch hier zu sehen war. Wie finden Sie Wien jetzt?

Robert Hunger-Bühler: Ich finde in Wien wieder alles verlässlich vor wie vor zehn Jahren, als ich das letzte Mal hier war. Ich war im Restaurant Ubl in der Preßgasse, Tische, Kellner, die Beleuchtung, sogar die Speisen, alles ist unverändert. Als Publikum sind die Wiener anders als die Zürcher ...

Die Zürcher sind kühl?

Ihre Begeisterung drückt sich anders aus als die der Wiener. Wenn man die Wiener begeistert, wird man beinahe auf der Straße umarmt. Das war so, als ich den Mephisto gespielt habe. Die Zürcher implodieren. In Zürich geht man vorbei und nach 20 Metern dreht man sich um und sieht ein Ehepaar tuscheln: „Das ist der Hunger-Bühler.“ Es ist zwinglianischer.

Botho Strauß war in Wien oft zu sehen. Erstmals gibt es eine Uraufführung von ihm im Burgtheater: „Das blinde Geschehen“. Es geht um das Virtuelle. Strauß ist bald der einzige Schriftsteller, der keine angelsächsischen Well-made Plays schreibt, sondern ein richtiger Poet ist. Was meinen Sie?

Das kann ich voll unterschreiben. Botho Strauß glaubt daran, dass der Zuschauer einen Erkenntnisgewinn haben soll. Außerdem geht es in dem Stück explizit darum, ob es überhaupt einen Sinn hat, dass Figuren auf einer Bühne vor 1000 oder 1200 Zuschauern auftreten.

Hat es einen Sinn?

Für mich stellt sich die Frage nicht, es ist ja mein Brotberuf. Spielen verschafft mir Brot im ursprünglichsten Sinn: Nahrung, Leben.

Können Sie noch ein bisschen mehr über das Stück erzählen?

Ich spiele einen Regisseur von Musikvideos namens John Porto. Das ist ein Mensch, der bewandert ist im Second Life, einem Computerspiel. Er lebt im Netz und nicht in der Realität. Sukzessive auf den Boden geholt wird er von einer Frau namens Freya Genetrix, die von Dörte Lyssewski gespielt wird. Die Virtualität ist auch eine Metapher für die normale Annäherung von zwei Leuten, Mann und Frau, bei der ja auch vieles anfangs virtuell ist, weil man vom anderen nur ein Bild hat und nicht weiß, wer er oder sie ist. John Porto glaubt nur mehr an das Netz, nicht mehr an die psychische Lebbarkeit des Lebens, weil er zu große Angst vor Schmerz und Verlust hat.

Haben Sie schon Second Life gespielt?

Nein. Ich habe ja mein Second Life auf der Bühne, das ist viel sinnlicher und interessanter als ein Computerspiel.

Es gibt viel Rätselhaftes in dem Stück, z. B. eine Unordnungsouvertüre ...

Bei Botho Strauß war es schon immer so, dass wir uns die Köpfe heißgeredet haben. Die Unordnungsouvertüre ist eine wunderbare Szene. Botho Strauß beschreibt darin blitzlichtartig die heutige Welt: Es gibt keine Stringenz mehr, keinen Plan, sondern lauter Mikrokosmen nebeneinander, die sich befruchten oder nicht befruchten. Die Anfangsszene ist eigentlich das Programm für das ganze Stück, das sich aus verschiedenen Molekülen zusammensetzt. Und es endet fast wie der „Faust“.

Kennen Sie Botho Strauß näher?

Ich kenne ihn sehr gut. Er hat sich aus dem Geschehen herauskatapultiert, anders als Peter Handke, der immer wieder bestimmt auftritt, wenn es um Serbien geht. Botho Strauß spielt den großen Unbekannten. Dabei ist er ein handfest sanguinischer Mensch. Er hat eine Frau und einen Sohn. Er lebt in Berlin. In Mecklenburg-Vorpommern auf dem Land hat er ein einsames Häuschen, in dem er schreibt.

Glaubt er, dass das Theater überlebt?

Strauß ist ein großer Computerspezialist und von dieser Technologie hingerissen. Er hofft aber wohl auch, dass das Theater nicht untergeht. Wer weiß, ob die Virtualität, die Technologie uns nicht alle überleben? Glauben wir wirklich, dass wir Menschen die letzten sind, die abtreten? Strauß sieht wie viele die große Gefahr, dass die Kulturerscheinung Theater abgedient hat. Auch das beschreibt er in diesem Stück: Es tritt der letzte Schauspieler auf – und Revueengel, die letzten Engel des Theaters.

Was hat Botho Strauß geprägt?

Er kommt eigentlich von der Klassik. Goethe ist wichtig. Aber er hat auch die Frankfurter Schule studiert, Adorno und seinen Kreis.

Die Schweizer scheinen mit ihrer Ausschaffungsinitiative Europa rechts zu überholen. Sind Ihre Landsleute ausländerfeindlicher geworden als früher?

In der Schweiz hat jeder sein Revier, in dem teils gnadenlose Nationalitätenpolitik betrieben wird. Die Schweiz ist immer sehr radikal mit Minderheiten oder Fremden umgegangen. Man gewinnt Pluspunkte, wenn man sagt, wir werden überfremdet. Das liegt auch daran, dass das Land so klein ist.

Diese Haltung hat also nicht der rechtspopulistische Politiker Christoph Blocher erfunden?

Nein. Da gibt es doch das berühmte Wort aus dem Zweiten Weltkrieg: „Das Boot ist voll.“ Das hieß: Keine Juden reinlassen, nur ganz bestimmte. Heute macht man gnadenlos Unterschiede. Da werden so platte Sachen gesagt wie Bosnier, Albaner fahren zu schnell mit dem Auto und sind immer alkoholisiert. Da werden so Bilder gemalt und die Leute glauben Sie.

Aber nicht in Zürich.

Doch. Dort ganz besonders. „Die Weltwoche“ war ein höchst liberales Blatt, da hat François Bondy, der Vater von Luc Bondy, geschrieben. Diese Zeitschrift ist jetzt komplett zum Blocher-Organ verkommen. Ich kann mich an eine solche Polarisierung in der Schweiz nicht erinnern. Die Schweiz ist ein Land, in dem die Leute ständig Angst um ihre Pfründe, Traditionen haben. Die Schweiz besteht auch stark aus den ländlichen Bezirken. Diese Leute sind sehr reaktionär, die erschrecken, wenn wer Hochdeutsch spricht – oder Wiener Dialekt.

Kommen Sie künftig öfter an die Burg?

Vielleicht für eine Rolle im Jahr. Ich wohne jetzt in Kilchberg am Züricher See. Ich bin ein passionierter Ruderer. John Porto würde sagen: Das ist stinkreal!

Termine

Robert Hunger-Bühler (57) spielte u. a. 1998 in der Uraufführung „Die Ähnlichen“ von Botho Strauß im Theater in der Josefstadt. Morgen, Freitag (4.2.), spricht er mit Stefan Zweifel („Reflektorium“, 20.30h). Ab 11. 3. ist er in Strauß' „Das blinde Geschehen“ zu sehen (Burgtheater, Regie: Matthias Hartmann).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2011)

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