Pharma: Tiroler Nachschub für US-Giftspritze

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US-Gefängnisse sollen sich Narkosemittel für Hinrichtungen aus heimischer Produktion besorgt haben. Laut Rechtsexperten kann die EU die Ausfuhr unterbinden. Das Mittel ist in den USA gesetzlich vorgeschrieben.

Wien/Jaz. In den USA wird ein Großteil der Hinrichtungen mittels Giftspritze durchgeführt. Dringend erforderlich ist dabei das Narkosemittel Thiopental. Es wird entweder zur Betäubung des Delinquenten oder – in einigen US-Bundesstaaten – gleich in einer Überdosis zur Hinrichtung verwendet.

Da dieses Mittel gesetzlich vorgeschrieben ist, kann es nicht einfach durch etwas anderes ersetzt werden. Der einzige US-Produzent des Präparats hat jedoch vor etwas mehr als einem Monat die Produktion stillgelegt, da er keine Verwendung bei Hinrichtungen wollte. Die US-Gefängnisse suchen daher dringend im Ausland nach Nachschub.

Laut einem Bericht des ORF sollen sie nun bei dem britischen Pharmagroßhändler Archimedes fündig geworden sein. Dort hat eine US-Gefängnisverwaltung demnach genügend Thiopental für 100 Hinrichtungen gekauft. Hergestellt soll das Präparat in Österreich worden seien. Bei Sandoz – der Generika-Tochter der Schweizer Novartis – im Tiroler Kundl.

„Missbräuchliche Verwendung“

„Wir liefern Thiopental an einen britischen Kunden, der es an Archimedes weiterverkauft. Wir haben keine Geschäftsbeziehung mit dem Großhändler, daher können wir nicht sagen, ob die Chargen von uns stammen. Es deutet aber vieles darauf hin“, heißt es bei Sandoz. Allerdings sei man strikt gegen diese „missbräuchliche Verwendung“ von Thiopental und habe daher alle Vertriebsniederlassungen angewiesen, es nicht mehr in die USA oder an Großhändler zu liefern.

Ob davon auch der konkrete Vertrag mit dem britischen Kunden – der es an Archimedes weiterverkaufte – betroffen ist, wollte man auf Anfrage der „Presse“ nicht beantworten. Auch Gesundheitsminister Alois Stöger kritisierte in der Folge die Verwendung des Mittels bei Hinrichtungen. Ein Ausfuhrverbot könne jedoch nicht erlassen werden.

Auf nationaler Ebene habe Stöger damit auch recht, sagt dazu Werner Schroeder, Leiter des Instituts für Völkerrecht an der Uni Innsbruck. „Der Außenhandel mit Drittstaaten außerhalb der EU wird nur noch auf europäischer Ebene geregelt.“ Dies betreffe beispielsweise Exportverbote von sogenannten „Two use“-Produkten an gewisse Staaten: „Das sind Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können“, sagt Schroeder.

Wenn die Union jedoch einen Export von Thiopental in die USA verhindern will, könne der Handelskommissar ein Verbot aussprechen. Einen entsprechenden Appell an die eigene Pharmaindustrie gab es zuletzt ja auch vom deutschen Gesundheitsminister Philipp Rösler. Italien hat sogar ein nationales Exportverbot erlassen. Dies ist nach Ansicht von Schroeder jedoch nicht rechtskonform mit dem Gemeinschaftsrecht.

Anders sieht das bei Waffenexporten aus. Hier definiert die EU nur eine Liste von Gütern, die als Waffen gelten. Ob und wohin sie exportiert werden dürfen, hängt vom jeweiligen Land ab. In Österreich besagt das Neutralitätsgesetz, dass an kriegsführende Staaten keine Waffen exportiert werden dürfen. Dies wurde in der Vergangenheit – Stichwort Noricum – jedoch bereits umgangen.

Verbot von Folterhilfsmitteln

Laut Manfred Nowak vom Institut für Internationales Recht und Menschenrechte an der Uni Wien ist ein zusätzliches Exportverbot jedoch gar nicht notwendig. Denn es gibt bereits eine Richtlinie der EU, die den Export aller Güter verbietet, die zur Folter verwendet werden können. „Dies beinhaltet meiner Meinung nach auch Mittel, die bei Hinrichtungen verwendet werden können“, sagt Nowak. „Die EU hat sich die weltweite Verhinderung der Todesstrafe ja auch als Ziel gesetzt.“

In den USA sorgt der Mangel an Thiopental inzwischen zu Verschiebungen bei Hinrichtungen. 13 Bundesstaaten haben in einem Brief an die US-Regierung nun „Hilfe“ gefordert. Diese soll ihre Lager an Thiopental öffnen. Andernfalls müsse, wie es heißt, auf andere Mittel oder andere Exekutionsmethoden wie Erschießen zurückgegriffen werden.

Auf einen Blick

Der Pharmahersteller Sandoz produziert im Tiroler Kundl das Narkosemittel Thiopental. Das Präparat wird in den USA bei Hinrichtungen mittels Giftspritze verwendet. Da der letzte US-Produzent die Herstellung einstellte, sollen US-Gefängnisse nun Mittel aus heimischer Produktion gekauft haben. Sandoz und Regierung kritisieren die „missbräuchliche Verwendung“. Laut Juristen könnte die EU ein Exportverbot in die USA erlassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2011)

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