Berlinale: Abstieg des Filmfestivals des guten Willens

Berlinale Abstieg Filmfestivals guten
Berlinale Abstieg Filmfestivals guten(c) REUTERS (CHRISTIAN CHARISIUS)
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Die 61. Berlinale geht in ihr erstes Wochenende: Direktor Dieter Kosslick verspricht einmal mehr Show, Stars und politischen Anspruch. Doch der Schein trügt. Ein Hintergrundbericht zur Festivalszene.

Die Filmwelt fiebert heuer einer Reihe aufsehenerregender Projekte entgegen: Etwa The Tree of Life, dem lange erwarteten Spielfilm des mysteriösen Hollywood-Meisters Terrence Malick mit Sean Penn und Brad Pitt, dessen mysteriöser Trailer (mittlerweile auch auf YouTube einzusehen) das Interesse noch gesteigert hat. Oder David Cronenbergs A Dangerous Method über das Verhältnis zwischen Sigmund Freud und C.G. Jung. Ganz zu schweigen von den neuen Werken einer Reihe der wichtigsten Filmfestival-Fixstarter der Gegenwart: Lars Von Triers Melancholia, Aki Kaurismäkis Frankreich-Ausflug Le Havre, Nanni Morettis Papstfilm Habemus Papam oder Set Me Free von den belgischen Cannes-Siegern Jean-Pierre und Luc Dardenne, die dafür erstmals eine Rolle mit einer Starschauspielerin (Cécile de France) besetzt haben.

Die Berlinale hat eben begonnen, und die Filmwelt fiebert weiter: Noch drei Monate Warten bis Cannes, wo die Premiere all dieser Filme so gut wie sicher scheint. Gewiss, Berlin hatte nie die Strahlkraft, um mit der Königin der Filmfestivals an der Côte d'Azur ernsthaft zu konkurrieren. Dennoch war es bitter, als Berlinale-Direktor Dieter Kosslick bei der Pressekonferenz bekannt gab, dass es nicht einmal für die erwartete Premiere eines weiteren begehrten Kandidaten reichte. Der renommierte Russe Aleksandr Sokurov hat nämlich einen deutschen Stoff verfilmt: Seine Version von Goethes Faust sei für das Festival „nicht fertig geworden“.

Unterschwellig schwingt da das immer schwerer wiegende Problem der Internationalen Filmfestpiele Berlin mit: Wäre der Wettbewerb der Berlinale attraktiver, hätte man den Film wohl rechtzeitig fertigbekommen. Dagegen sorgte die Bekanntgabe der Wettbwerbsfilme der Berlinale 2011 nur für Fassungslosigkeit ob der kaum noch zweitklassig zu nennenden Zusammenstellung. Unter den Teilnehmern ist ein einziger Name von Weltrang, nämlich der ungarische Extrem-Kunstfilmer Béla Tarr, dessen große Zeit allerdings auch schon über eine Dekade zurückliegt: Sein Epos The Turin Horse begleitet obendrein der Ruf, auf der langen Festivalbank zu sitzen – Ausschussware vom letzten Jahr.


Dürftiger Wettbewerb. Angesichts dessen, dass die Berlinale-Konkurrenz mit 16 Beiträgen heuer merklich reduziert ist, wirkt die Auswahl noch dürftiger – noch dazu, wo die Berlinale sich eine Ausnahmeregelung gönnt: Der Wettbewerbsbeitrag The Future von US-Künstlerin Miranda July ist keine Weltpremiere, sondern kommt direkt vom Sundance-Festival, mit dem die Berlinale eine spezielle Kooperation eingeleitet hat. Auch das bezeichnend: Sundance ist ebenfalls eine Marke, die von ihrer Geschichte zehrt, aber längst ihre Grundidee – die Förderung von Independent-Kino – buchstäblich verkauft hat. So ist das wahre Rückgrat in Berlin der im Hintergrund stattfindende „European Film Market“, zu dem viele Einkäufer und Verleiher anreisen: Da hat Dieter Kosslick, seit zehn Jahren Festivalchef, jedenfalls Erfolge zu verzeichnen. Berlin ist in der Hinsicht das genaue Gegenteil von Venedig, das unter Direktor Marco Müller auf artistisch gewagte Programmierung setzt, aber auch wegen des Fehlens eines Filmmarkts wirtschaftliche Probleme hat.

Die Figur Kosslick steht im Zentrum der schon länger anhaltenden künstlerischen Krise der Berliner Filmfestspiele. 2001 übernahm er die Leitung der etwas angeschlagenen Berlinale und setzte auf Show statt dröger Kunst. Er hat es damit zur Berliner Lokalgröße gebracht: Kosslicks lockerer Stil mit Kalauern um jeden Preis – „Happy Bärsday, Berlinale!“, hieß es letztes Jahr zum 60.Festivaljubiläum – kommt gut an. Das angestrebte ökonomische Wachstum hat er erreicht. Es gibt regen Publikumszuspruch für die über 400Filme in zehn Tagen, nur deren Auswahlkriterien sind schleierhaft. Ein Festival benötigt aber ein künstlerisches Profil: Dieses ist schwierig zu erkennen bei einer Selektion, in der öfters die Nebenschiene mit Jugendfilmen am besten programmiert wirkt. Zwar sind in Sektionen wie dem experimenteller ausgerichteten Forum weiter vereinzelt bemerkenswerte Filme zu finden, aber das Herzstück des Festivals versinnbildlicht den Abstieg: Selbst das deutsche Feuilleton, dem nationalen Filmgroßereignis natürlich zugetan, hat in den letzten Jahren resigniert: „Mit seiner Wettbewerbspolitik ist er in einer Sackgasse angelangt, aus der er offensichtlich nicht wieder herausfindet“, resümierte Michael Althen in der „FAZ“ letztes Jahr zur Ära Kosslick.


Weniger Stars. Das hat sich auch heuer nicht geändert: Dem Insider offenbart sich bei vielen der vertretenen Nachwuchskräfte, warum sie wirklich im Wettbewerb sind – Kosslicks Herkunft aus der Filmförderung wirkt hier weiter. In vielen Arbeiten steckt deutsches Fördergeld, oft vom berlinale-eigenen „World Cinema Fund“, oder es handelt sich um Absolventen des „Berlinale Talent Campus“. Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass man dann offenbar kein außergewöhnliches Talent mehr mitbringen muss: So wäre ein solides Debüt wie J.C. Chandors Margin Callbei anderen Großfestivals eher eine Galaveranstaltung am Rande, um Starpräsenz von Kevin Spacey und Demi Moore zu sichern – bei der Berlinale ist es ein geradezu sensationeller Wettbewerbsauftakt. Kosslick hat öfter schon den Glamourfaktor der Stars hochgespielt, um andere Schwächen zu verbergen, mittlerweile steckt er auch da in einer Zwickmühle.

Denn auch bei den großen Namen aus Übersee (und bei internationalen Berichterstattern) ist die prestigearme Berlinale nur mehr zweite Wahl: Die Kreativen bleiben lieber in den USA, um die Kampagne für die baldige Oscar-Vergabe weiterzuführen, als in Berlin Energie zu vergeuden – das war früher nicht so. Zwei große Oscar-Kandidaten laufen heuer, wirken aber wie Vorpremieren: The King's Speech und der Eröffnungsfilm True Grit sind anderswo schon längst in den Kinos, der hiesige Start folgt sofort. Mit Jeff Bridges konnte wenigstens ein echter Superstar zum Festivalstart gelockt werden.


Lippenbekenntnis zur Politik. Bleibt der althergebrachte Anspruch der Berlinale als „politisches Festival“: Aber der politische Ansatz ist wie der künstlerische bloß Lippenbekenntnis, die Berlinale-Konkurrenz berüchtigt für schlechte Filme zu wichtigen Themen. Heuer ist Kosslick zur Eröffnung mit dem offenen Brief des im Iran inhaftierten Jurymitglieds Jafir Panahi zwar ein politischer Coup gelungen. Aber nicht nur lässt die Berlinale Panahis weniger bekannten, mit ihm verurteilten Kollegen Mohammad Rasoulof links liegen. Den Geist des Festivals trifft die Geste insofern, weil eines dabei keine Rolle spielt: die Filme selbst.

Denn wenn sich ein Berlinale-Programmprinzip ausmachen lässt, dann ist das der gute Wille. Aber wie man auf Englisch so schön sagt: „The road to hell is paved with good intentions.“ Die Vorhölle, in der die 400Filme der Berlinale stecken, ist ein Bedeutungsvakuum: Sie scheinen nur als lästige, aber notwendige Begleiterscheinung beim „Kultur“-Event Filmfestival da zu sein: Da ist die Berlinale ein trauriger Vorreiter für eine allgemeine Entwicklung in der Welt des Films und seiner Festivals. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, das wahre Gesicht der Berlinale zeigt sich in der Reihe „Kulinarisches Kino“, wo die Filme buchstäblich als bloße Appetizer für ein Haubenmenü angeboten werden. Dazu gibt es Wortspielmotti wie „In the Food for Love“, von denen man glauben könnte, sie stammen vom deutschen Satire-Magazin „Titanic“. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin wurden 1951 erstmals abgehalten. Zurück gehen sie auf eine Initiative von Oscar Martay, Film Officer der US-Militärregierung, die in den ersten Jahren die Finanzierung des Festivals sicherte. Unter dem Motto „Schaufenster der freien Welt“ positionierte sich die Berlinale von Anfang an als Publikumsfestival mit politischer Ausrichtung, worauf man sich bis heute beruft.

Auch die 61. Ausgabe der Berlinale 2011 bietet große Zahlen: Über 400Filme in zehn Tagen, der Publikumszuspruch wird wohl weiter ungebrochen bleiben. In der Regel werden über 400.000Kinobesuche verzeichnet, inklusive Branchengäste, verkauft werden üblicherweise über 200.000Eintrittskarten.

Die Jury leitet heuer die italienische Schauspielerin Isabella Rossellini. Weitere Mitglieder: der kanadische Regisseur Guy Maddin, die deutsche Schauspielerin Nina Hoss, die britische Kostümbildnerin Sandy Powell, die australische Produzentin Jan Chapman und der indische Schauspieler Aamir Khan. Das siebte Jurymitglied ist der iranische Filmemacher Jafir Panahi, der daheim in Haft sitzt. Sein Stuhl bleibt symbolisch leer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2011)

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