Schardscha: Das Emirat, das keiner kennt

Schardscha Emirat keiner kennt
Schardscha Emirat keiner kennt(c) AP (HASAN JAMALI)
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Dubai ist ein Begriff. Sein Nachbar Schardscha kaum. Ägyptens Ex-Präsident Mubarak wollte angeblich hierher flüchten. Dubai liebt Größenwahn und Gier, Schardscha Tradition und Ruhe.

Am Hafen von Schardscha spürt man, was das kleine Emirat vom Nachbarn Dubai unterscheidet. Dubai, kaum 15 Kilometer entfernt, ist eine Stadt auf Speed – der größte Airport, das teuerste Hotel, das höchste Haus, immer auf der Jagd nach Profit und Superlativen.

An der Kaimauer in Schardscha indes dümpeln hölzerne Dhaus, jene Schiffe, die mit geblähtem Segel seit Jahrhunderten zwischen Arabien, Afrika und Persien kreuzen. Und im Hintergrund stehen keine Wolkenkratzer, sondern Wohnhäuser, eine Moschee und eine alte Markthalle, die man in Dubai wohl abgerissen hätte. In Schardscha aber siedelte der Scheich die Händler um, ließ den Souk restaurieren und machte das „Museum für die islamische Zivilisation“ daraus. Kultur statt Kommerz, Religion statt Gier, Natur statt Plastik. Das soll Touristen locken.

Als Ägyptens Präsident Mubarak am 11. Februar gestürzt wurde, hieß es, dass das gemütliche Emirat auch ihn und seine Familie angelockt haben könnte. Beobachter wollten sein Flugzeug auf dem Flughafen gesehen haben. Die Regierung des Emirs dementierte; Mubarak hatte sich in sein Haus am Roten Meer zurückgezogen. Doch für Stunden lag das Licht der Aufmerksamkeit auf Schardscha.

Scheich mit Doktortiteln.Schardscha, mit 2590 km2 Fläche fast so groß wie Vorarlberg, ist wie sechs weitere Emirate, etwa Dubai und Abu Dhabi, Mitglied der „Vereinigten Arabischen Emirate“ (VAE). Jedes wird von einer Monarchenfamilie regiert. Scheich Mohamed Al-Qassimi, Jahrgang 1939, regiert Schardscha seit 1972. Er ist Doktor der Geografie und Philosophie. Unter ihm wurde Schardscha 1998 Unesco-Kulturhauptstadt der islamischen Welt, Stifter eines Preises für arabische Kultur, die Kunst-Biennale ist weltbekannt.

„Wir haben vor allem Kulturtouristen“, sagt Ulrike Al-Khamis, deutsche Beraterin des „Schardscha Museum of Islamic Civilisation“. Die Archäologin führt durchs Museum, das von einer Kuppel gekrönt wird, die innen mit einem blauen Mosaik mit goldenen Sternbildern verkleidet ist. „Wir zeigen die Errungenschaften der arabischen Welt.“ Die Anfänge der Astronomie lägen hier, die der Geografie und Spitalsmedizin. Also sieht man Weltkarten und Himmelsscheiben und medizinische Objekte, aber natürlich auch alte Koran-Ausgaben und Gebetsteppiche. „Der Islam wird weltweit ungerechterweise als Religion der Terroristen geächtet“, sagt Al-Khamis, selbst Christin.

Nahe dem Museum führt Ashraf eine Reisegruppe herum. Wie 90 Prozent der Bewohner der VAE ist er ein Zuwanderer. Ein Ägypter. Der Lohn hier ist besser. „Die meisten Einheimischen sind Beamte, Militärs oder Polizisten – sofern sie arbeiten“, sagt er.

Schardscha wurde zwar vor über 5000 Jahren gegründet, die wenigen verbliebenen alten Gebäude stammen aber aus dem 19. Jahrhundert und sehen viel jünger aus. So das „Bait Al Naboodah“, das zum Museum umfunktionierte Haus einer Perlentaucher-Familie, 1845 in traditioneller Architektur aus Muschelstein erbaut. Geschnitzte Holzsäulen tragen die Decke über den Arkaden. Über den Innenhof läuft man auf Pflastersteinen wie in einer österreichischen Fußgängerzone. Tatsächlich wirkt die Altstadt wie ein arabischer Altertums-Vergnügungspark.

Die Zeit vor und nach dem Öl. 1971 wurden die sieben Emirate ihren Status als britische Protektorate los, schlossen sich zu den VAE zusammen und wurden aus dem Mittelalter in die Moderne katapultiert. Emiratis rechnen in der Zeit „vor und nach dem Öl“. Vorher waren sie Beduinen, seit den 1960ern wird es gefördert. Heute ist hier die sechstgrößte Ölförderung weltweit. 90 Prozent der Vorkommen liegen allerdings in (bzw. unter) Abu Dhabi.

In Schardscha sollen sie etwa 2020 erschöpft sein; zwar wird das Emirat danach über eine Art Finanzausgleich von den Vorkommen in Abu Dhabi profitieren. Aber man will für die nächste Zeitenwende fit sein und investiert in Bildung und Tourismus. Also hat man 20 Museen, alle modern ausgestattet, etwa das „Science Museum“ und das „Wildlife Center“, wo ganze Steppen nachgebaut sind, in denen Vögel frei fliegen und Leoparden herumstreunen. Schulkinder tollen herum. Eine Frau mit schwarzem Kopftuch und kräftig geschminkten Lippen führt Gäste herum. In Schardscha haben Frauen prozentual gesehen höhere Bildungsabschlüsse als Männer.

Benzin kostet 27 Cent pro Liter, Steuern gibt es nicht. In jedem der zahllosen Kreisverkehre sind gepflegte Rasen und Blumen angelegt, mit viel Aufwand bewässert. Zwischen den Fahrspuren stehen Laternen. Alle Autobahnen in den VAE sind beleuchtet. An Geld und Energie mangelt es nicht.

Schardscha ist aber nicht nur die Hauptstadt, wo 90 Prozent der 950.000 Einwohner leben, sondern vor allem Wüste mit Oasen. Zudem gehören dazu zwei Exklaven, die vom Hauptgebiet durch andere Emirate getrennt an der Ostküste der VAE liegen. Khor Fakkan ist eine davon, auf dem Weg dorthin halten Zäune längs der Autobahn Kamele ab. Auf dem Asphalt wirbelt Sand, die Luft flirrt. Man passiert das nackte Gestein des 1500 Meter hohen Al Hadschar-Gebirges, kein Grün, keine Pflanze. Und hinter dem Pass am Fuße des Gebirges weiße Häuser und blauer Ozean.

Hier die Tanker, dort die Taucher.
An der Küste liegt der Hafen des Emirats Fudschaira, wo hunderte Tanker warten, das Öl in die Welt zu bringen. Khor Fakkan indes hat einen Containerhafen– und einen kilometerlangen, palmengesäumten Sandstrand. Ein Ort für Badetourismus, Schnorcheln und Tauchen bei Korallenriffen.

Zurück in Schardscha City – hier gibt es ein richtiges Vergnügungsviertel, das Qanat Al Qasba. Boote fahren durch einen Kanal zwischen hell erleuchteten Restaurants und Geschäften. Karussells kreisen, Menschen kreischen. Halbstarke mit gegelten Haaren lümmeln herum. Ein Rummelplatz wie überall auf der Welt, aber sauberer, edler, vielleicht weil es, wie überall in Schardscha, keinen Alkohol gibt. Verschleierte Frauen essen vor einer „Starbucks“-Filiale Donuts, die sie sich unter dem Schleier zum Mund führen.

Im Hintergrund leuchtet Dubai mit dem höchsten Gebäude der Welt, dem „Burj Chalifa“, benannt nach dem Herrscher Abu Dhabis, weil der den bankrotten Bauherren mit einem Milliardenkredit aushelfen musste. Im Vordergrund steht das Wahrzeichen Schardschas: Ein schlichtes Riesenrad, 60 Meter hoch, mit europäischer Technik gebaut – und anders als das Riesenhaus in Dubai auch bezahlt.

Schardscha ist eines von sieben Emiraten, die 1971 die Föderation der „Vereinigten Arabischen Emirate“ gründeten. Die anderen sind Abu Dhabi, Adschman, Dubai, Fudschaira, Ra's al-Chaima und Umm al-Qaiwain. Die Gebiete, von denen aus Piraten operierten und den im 18. Jh. stark anlaufenden Handel v. a. der Briten mit Indien und Persien bedrohten, wurden im 19. Jh. von britischen Flotten „befriedet“ und zu Protektoraten Londons, den „Trucial States“ (Staaten, mit denen Waffenruhe herrscht).

In den 1960ern fand man Öl, das seit der Unabhängigkeit 1971 die Wirtschaft der Emirate großteils befeuert. Allerdings sind die Reserven fast aller Emirate außer Abu Dhabis bereits erschöpft oder werden das in den nächsten zwei Jahrzehnten sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)

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