"Kultur der Kulturrevolution": Unter den Augen von Mao

(c) Clemens Fabry
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Eine Ausstellung im Wiener Völkerkundemuseum zeigt Abzeichen, Bibeln, Hemden und noch viel mehr des Großen Vorsitzenden Mao: das Porträt einer grausamen Epoche, die in China noch längst nicht aufgearbeitet ist.

Als in Paris, Berlin, Berkeley etc. die Studenten marschierten, als die Rolling Stones sich mit „Street Fighting Man“ halbherzig in die Revolte hineinreklamierten, hatten auch die Beatles ein Lied namens „Revolution“. Das von etlichen Zeitgenossen als „reaktionär“ empfunden wurde – unter anderem wegen der an europäische Maoisten adressierten Zeilen: „But if you go carrying pictures of Chairman Mao, you ain't gonna make it with anyone anyhow.“ Das war im August 1968.

Zwei Jahre davor, im Mai 1966, hatte der Große Vorsitzende Mao Zedong in einer „erweiterten Tagung“ des Politbüros vier von dessen Mitgliedern entlassen und die „Gruppe für die Kulturrevolution beim ZK“ gegründet. Ein Machtkampf innerhalb der kommunistischen Partei: Das war der Beginn der sogenannten Kulturrevolution, die mehrere Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Winterkirschen, Sonnenblumen

Heute, im Februar 2011, während sich in China die ersten Proteste nach dem Vorbild der tunesischen Jasmin-Revolution formieren, läuft im Wiener Völkerkundemuseum eine Ausstellung über die „Kultur der Kulturrevolution“. So überraschend es scheinen mag, es ist die erste Ausstellung zu diesem Thema, das in China bis heute nicht aufgearbeitet ist. Helmut Opletal, zuletzt Redakteur beim ORF-Radio, hat sie zusammengetragen. „Mein Mao im Museum“ nennt er seinen Aufsatz im Katalog: Über 30 Jahre hat er sie gesammelt, all die Maos aus Porzellan und Gummi, auf Leinwand und Aluminium. Dabei waren bei seinem ersten Besuch in China – 1973 – die skurrilsten Blüten des Mao-Kults schon aus dem Verkehr gezogen worden.

Dargestellt wurde Mao als Steuermann und als gütiger Inspizient eines Getreidefeldes, mit Mangos (weil er solche einmal an Arbeiter verteilte), mit Winterkirschen (als Symbol für die Überwindung widriger Umstände), mit Föhren (Ausdauer, Geradlinigkeit), mit dem Schriftzeichen „zhong“ (Loyalität), mit drei Sonnenblumen (für die „drei Loyalitäten“, gegenüber Mao, den „Mao-ZedongIdeen“ und Maos revolutionärer Linie) oder mit der Sonne: Seit den frühen Siebzigern wurde Mao selbst als „rote Sonne“ bezeichnet. Die Symbolik wird in der Ausstellung gut erklärt, und doch wirkt auch die schiere Massierung der Kultobjekte – die an der Oberfläche an „Fanartikel“ à la Beatlemania erinnern –, die Vertausendfachung dieses pyknischen Gesichts. Über 1500 Mao-Abzeichen hat Opletal in die Sammlung des Museums eingebracht, insgesamt in China hergestellt wurden fünf Milliarden.

So bunt, vor allem rot die Objekte im Raum zum Thema „Kult“ sind, so dunkelgrau sind die Bilder im nächsten Zimmer, in dem der Terror gezeigt wird. „Wer es wagt, dem Volk weiterhin als Feind gegenüberzustehen, wird mit Sicherheit von der eisernen Faust der Diktatur des Proletariats in Stücke geschlagen!“ Das las man im Dezember 1968 auf einem Plakat der „Volksbefreiungsarmee“, auf dem das Todesurteil gegen einen Mann erklärt wurde, dem eine „wahnwitzige Attacke auf die Führungsrolle der Arbeiterklasse“ vorgeworfen wurde. Wie die von Mao aufgehetzten Roten Garden ihre Opfer – die oft gerade noch ihre Lehrer gewesen waren – verhöhnten, an den Haaren rissen, mit Stiefeln traten, zeigen rare Filmaufnahmen: Solches Material wurde schon Ende der Sechziger vom Regime systematisch eingezogen, um zu vermeiden, dass es nach außen dringe.

In den dennoch erhaltenen Ausschnitten sieht man auch, wie die Roten Garden Kulturgüter wie Buddhastatuen zerschmettern: Die „Kulturrevolution“ bedeutete auch die großflächige Vernichtung von Kultur. „Eine Revolution ist kein Gastmahl“, heißt es in der „Mao-Bibel“, „kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder Deckchensticken; sie kann nicht so fein, so gemächlich und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich, zurückhaltend und großherzig durchgeführt werden.“ Dass solche Sprüche bis heute mit dem ironischen Gestus des „Bolshevique Chic“ wenn nicht auf Deckchen, so doch auf T-Shirts gestickt werden, mutet einen nach dem Besuch dieser Ausstellung dumm und frivol an.

Bekenntnis eines Ex-Maoisten

Überhaupt entlässt einen die Schau mit der Frage: Wie konnten in den Sechziger- und Siebzigerjahren gebildete Jugendliche in Europa sich als Maoisten bekennen? Wieso galt es als hip, „pictures of Chairman Mao“ zu tragen? Selbst wenn ihnen die Verbrechen der Kulturrevolution nicht bekannt waren, zumindest die Dummheit und Plattheit der Parolen, zumindest der pseudoreligiöse Nimbus müssten sie doch abgestoßen haben?

Im Katalog nimmt Karl-Peter Schwarz, heute Korrespondent der FAZ, von 1970 bis zu seinem Ausschluss wegen „Fraktionsmacherei“ 1976 selbst Maoist, dazu Stellung. „Wer Mao unterstützte, und das tat ich, machte sich mitschuldig“, schreibt er. Seine klaren Worte sind beeindruckend, seine Interpretation ist zumindest interessant: Die Linksradikalen in Westeuropa hätten „einer rückwärtsgewandten, antimodernen Reaktion auf den rapiden gesellschaftlichen Wandel Gestalt verliehen“. Schwarz beklagt: Der Maoismus im Westen sei – im Gegensatz etwa zur DDR-Vergangenheit – noch kaum aufgearbeitet. Er nennt die deutschen Minister Jürgen Trittin und Ulla Schmidt als Beispiele für ehemalige Maoisten, die „für die eigene politische Biografie größtes Verständnis aufbringen“. Ob man hier noch Erklärungen, Bekenntnisse hören wird? Wohl zum Glück keine im Stil der „Selbstkritik“, mit der sich im Lauf der Kulturrevolution Legionen von deren vormaligen Trägern öffentlich zu demütigen hatten.

Ausstellung bis 19.September.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2011)

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