ÖVP: "Zu wenig Samurais, zu viele Söldner"

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Die Affäre Strasser sei peinlich, das Motiv dahinter Gier, sagt Siegfried Nagl. Er kritisiert die Personalauswahl im Parlament und wünscht sich einen ÖVP-Vorschlag für die Bundesheer-Reform.

Die Presse: Die ÖVP wird derzeit von heftigen Personalturbulenzen gebeutelt. Was ist da los?

Siegfried Nagl: Es gibt den Spruch „Wenn's läuft, dann läuft's“. Derzeit läuft's gleich überhaupt nicht. Ich hoffe, diese Phase ist bald wieder zu Ende.

Im Fall der zurückgetretenen EU-Abgeordneten Hella Ranner heißt es, die steirische ÖVP sei schon vor der Landtagswahl im Herbst 2010 von ihrer angespannten finanziellen Situation informiert gewesen. Wann haben Sie davon erfahren?

Jetzt, aus der Zeitung. Das war schon eine Überraschung. Vor der Wahl hat sie uns nur gesagt, dass sie sich von ihren Kanzleipartnern trennen wird.

Fühlen Sie sich getäuscht oder sind Sie enttäuscht?

Enttäuscht. Im Zusammenspiel mit den Vorfällen rund um Ernst Strasser ist das für die Partei besonders schmerzlich. Es tut doppelt weh, wenn es Personen in der ersten Reihe machen, weil es zu einem Qualitätsverlust in der Politik führt. Wer geht denn dann noch in die Politik? Das Recruiting wird schwieriger. Die Strasser-Geschichte ist dermaßen peinlich, das Motiv eindeutig: Gier. Damit hat er mehr kaputt gemacht als nur sein eigenes Leben.

Gibt es „politische Moral“ nicht mehr?

Politiker sind moralisch mehr als andere geprüft, und daher erfordert es besonders viel Disziplin und Anstand, Nein zu sagen. Wenn Politiker keine Vorbildwirkung mehr haben, entsteht der Eindruck in der Bevölkerung: „Die nehmen eh alle“. Das ist ein enormer Schaden an der Gesellschaft. Aber vielleicht ist es auch ein Anzeichen, wohin sich die Politik bewegt. Ich habe schon bei meinem Eintritt in die Politik gesagt: Ich hoffe, dass ich, wenn ich ausscheide, noch resozialisierbar bin. Diese Aussage gilt noch immer. Die Politik ist eine eigene Welt.

Es fällt aber auf, dass vor allem die Welt der ÖVP von personellen Schwierigkeiten betroffen ist.

Vielleicht sollte die Partei über ihr Nominierungssystem nachdenken. Das Volk hat ein recht deutliches Gespür dafür, wem es vertrauen kann. In unseren Parlamenten sitzt schon lange nicht mehr ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung. Wir müssen weg vom Bild des reinen Berufspolitikers. Derzeit gibt es zu wenig Samurais, deren Antrieb bestimmte gesellschaftliche Werte sind, und zu viele Söldner, die oft weit weg von Herz und Hausverstand agieren.

Warum gelingt es der ÖVP nicht, in der Koalition die Themenführerschaft an sich zu reißen?

Mit Themenführerschaft fällt die Politik derzeit insgesamt wenig auf.

Das kann für die ÖVP kein Trost sein.

Es läuft immer nach demselben Muster: Die SPÖ liefert ein Schlagwort, und es ist nichts dahinter. Die ÖVP macht dann den Fehler, sich reflexartig mit einem Kümmerinstinkt in eine Diskussion zu stürzen. Die SPÖ liefert den Humbug, und wir machen die Arbeit. Dass wir aber beispielsweise in der Bundesheer-Debatte keinen Alternativvorschlag bereitliegen hatten, hat mich schon überrascht.

Visionsleere war diesbezüglich das Netteste, was ÖVP-Mandatar Ferdinand Maier Ihrer Parteispitze vorgeworfen hat. Was ist eigentlich aus den Perspektivengruppen geworden, die Josef Pröll einst ins Leben gerufen hat?

Ich bin damals eingeladen worden, eine Arbeitsgruppe zum Thema Integration zu leiten. Wir haben vorgeschlagen, für diesen Komplex in der Regierung eine Ansprechstelle zu schaffen und Ausländern, die zu uns kommen, gleich zu erlauben, arbeiten zu dürfen, um erst gar keine Neiddebatte rund um Sozialleistungen aufkommen zu lassen. Oder beispielsweise einen Ethikunterricht in Schulen für jene anzubieten, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben – passiert ist bis heute nichts.

Warum nicht?

Das frage ich mich auch.

Hat sich die Volkspartei vom Volk entfernt?

Die Politik hat sich generell vom Volk entfernt. Mit den Methoden von vor 50 Jahren kann man die Zukunft nicht mehr meistern. Die Großparteien werden kräftig nachdenken müssen, um Programme zu entwickeln, die sich an den Menschen orientieren und die auch rasch umgesetzt werden. Nicht nur „Quaqua“, sondern es auch tun. Raus aus ideologischen Grabenkämpfen! Davon hat jeder genug. Schluss mit den Ausreden! Immer zu sagen, dass irgendeine andere Gebietskörperschaftsebene zuständig ist – was soll das? Da wird im Kreis diskutiert.

Scheitert die Volkspartei denn an ihrer eigenen Breite?

In einer Welt der Spezialisierung ist es in allen Bereichen schwer, mit einem ganzen Bauchladen anzutreten. Die Spezialisten nehmen den Volksparteien da generell leichter Stimmen weg. Wir müssen daher danach trachten, dass wir auch in den jeweiligen Nischen Spitze sind. Wenn wir das nicht schaffen, wird es schwer, bei Wahlen mehr als 20 bis 30 Prozent zu erreichen.

Zur Person

Siegfried Nagl, 47, ist seit 2003 Bürgermeister von Graz. Davor war er Stadtrat für die Bereiche Finanzwesen, Liegenschaften, Kultur und Landwirtschaft. Seit 2000 ist er Stadtparteiobmann der ÖVP Graz. Bei der Gemeinderatswahl 2008 legte die ÖVP leicht auf 38,4 Prozent zu. Danach ging Nagl – erstmals in der Grazer Geschichte – eine Koalition mit den Grünen ein. [Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2011)

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