ÖVP im Junior-Dilemma

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Personalprobleme und mehrere Korruptionsskandale quälen die ÖVP und ihren erkrankten Parteichef. Auch Josef Pröll schaffte es bisher nicht, die Dominanz der Bünde und der Bundesländer zu brechen.

Nichts beschreibt die Situation der Volkspartei so gut wie der trotzige Hilferuf nach dem SPÖ-Chef. Werner Faymann solle doch Kanzlerformat beweisen und sich vor seinen erkrankten Vizekanzler stellen, hieß es in den vergangenen Tagen in der ÖVP immer wieder. Tatsächlich sind es vor allem Medien mit Naheverhältnis zum Kanzler, die offen und lautstark über den Rücktritt Josef Prölls wegen seiner angeschlagenen Gesundheit und der Krise der ÖVP spekulieren.

Tatsächlich hat das eine mit dem anderen nichts bis wenig zu tun: Der Gesundheitszustand des Vizekanzlers war sehr ernst, die Rehabilitation verläuft gut, heißt es in der Partei. Aber auch wenn Parteichef Pröll in den vergangenen Wochen im Amt gewesen wäre, hätte kein Skandal mehr verhindert werden können - Ernst Strassers und Ella Ranners Fälle hatten sich wesentlich früher zugetragen. Ihre Rücktritte konnten auch ohne Pröll beziehungsweise in dessen Namen über die Bühne gehen.

Wie die SPÖ in den 1980er-Jahren

Was bleibt, ist ein strukturelles Problem der ÖVP, das nur bedingt mit den Skandalen zu tun hat: Dass Politiker vom Schlage Strassers versuchen, persönlichen finanziellen Nutzen aus der politischen Situation zu ziehen, passiert naturgemäß in Regierungsparteien häufiger, in der Opposition fehlt der Machthebel. Die SPÖ hat ihre Skandale wie Noricum oder den Fall Rechberger in den 80ern und 90ern erlebt.

Nun erfährt die ÖVP, dass in ihren Reihen Korruption um sich greift. Begonnen hat das offenbar mit Karl-Heinz Grasser und seinem Umfeld. Der war zwar kein ÖVP-Politiker, aber von Wolfgang Schüssel und Co. hofiert, geliebt und in Ruhe gelassen worden ist.
Josef Pröll konnte und wollte sich von dieser Ära - er diente als Umweltminister - nie richtig abgrenzen. Schüssel sitzt heute noch ebenso im Parlamentsklub wie Wilhelm Molterer. Entsprechende Jobs für die beiden fanden sich nicht. Die Freunde und Feinde beider sitzen so Lager an Lager.


Noch übermächtiger aber ist und bleibt sein Onkel, Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll: Nach dessen von der ÖVP abgesagter Präsidentschaftskandidatur und seinem Widerstand gegen jede Reform des Föderalismus blieb das Verhältnis der beiden angeschlagen. Einen echten Befreiungsschlag wagte der Junge nie. Genau das zeigt das schlimmste strukturelle Problem der Bundespartei: Gegen die eigenen Landeshauptleute und ihre Landesparteien hat der Parteichef nicht die geringste Chance.

Augenscheinlichstes Symptom: Wenn die Bundespartei nicht spurt, zahlen die Länder einfach nicht mehr - so passiert 2010, als die Niederösterreicher ihre Zahlungen für einige Zeit demonstrativ eingestellt haben. Ähnlich die Macht von Finanzminister Pröll: Als er St. Pölten eine Bundesstaatsreform vorschlug, erntete er nur Gelächter und eine Abfuhr. Diese Lektion hatte noch jeder ÖVP-Chef lernen müssen, gegen die Länder konnte auch ein Wolfgang Schüssel nichts unternehmen.

Die Diktatur der Bünde ist nicht zu brechen


Dass Pröll ausgerechnet Ernst Strasser nach Brüssel geholt hat, zeigt auch, dass der ÖVP-Chef kaum Hausmacht oder Personalressourcen zur Verfügung hat.

Wenn er Hilfe oder personellen Nachschub braucht, muss er sich in Niederösterreich umschauen. Ähnlich geht Pröll und gingen vor ihm alle anderen Parteichefs bei Personalbesetzungen vor: Vertrauen kann man nur seiner politischen Heimat, also seinem Bund. Bei Pröll ist das nun eben der Bauernbund. Dass damit ausgerechnet die gesellschaftlich unbedeutendste

ÖVP-Interessenvertretung im ewig lähmenden Machtkampf die Oberhand über Partei und Kabinette hat, zeigt die Absurdität der Situation. Genau dies ist das Problem, das jeder in der ÖVP kennt und keiner ändert: Die Zugehörigkeit zu den Bünden und die daraus entstehende Seilschaft sind wichtiger als alles andere.
Ein weiteres Problem sind die Städte für die ÖVP: Der einstigen Ansage Schüssels, die Partei müsse sich um die Städte kümmern, folgten nie Taten. Wie schwer sich die Partei tut, den urbanen Raum und seine Wähler zu verstehen, hat sich beim schwer missglückten Wahlkampf der Wiener ÖVP gezeigt, als nach jahrelangem Propagieren eines gesellschaftspolitisch liberalen Kurses plötzlich ein Law-and-Order-Kurs für Christine Marek entwickelt wurde. Die Partei stürzte völlig ab.

Zu wenig Einfluss in der Regierung


Ewiger Junior ist Prölls ÖVP nicht nur gegenüber seinem Landesonkel, sondern auch in der Regierung. Als Juniorpartner dort ist sein Einfluss enden wollend, wie bei der Budgeterstellung zu erleben war: In einer großen Rede hatte er eine große Staatsreform angekündigt, heraus kam ein Sparkurs mittels Rasenmäher. Strukturelle Reformen blieben aus. In Werner Faymanns Logik war es wohl ein Erfolg, dass Prölls Ansehen enorm litt. Danach wusste dieser, dass er in der Großen Koalition nicht mehr Möglichkeiten hat als Josef Riegler, Erhard Busek oder ein Wolfgang Schüssel im Junior-Dilemma. Letzterer zog übrigens daraus die Konsequenzen. Gut möglich, dass ihn Pröll neuerdings immer besser versteht.

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