Schüssels umstrittenes Mandat

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Energie. Wolfgang Schüssel sitzt im Aufsichtsrat des Atomkonzerns RWE. Als ÖVP-Abgeordneter trägt er den Antiatomkurs der Partei mit.

Wien/Kor. Wir schreiben Februar 2010, und der deutsche Energiekonzern RWE frohlockt: Der ehemalige österreichische ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat eingewilligt, Aufsichtsratsmitglied des Konzerns zu werden. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ ist geradezu elektrisiert: Schüssel komme „wie gerufen“, immerhin habe er „Erfahrung mit kniffligen Angelegenheiten“.

Gut ein Jahr ist seitdem vergangen, und mittlerweile ist besagtes Aufsichtsratsmandat für Schüssel selbst zur „kniffligen Angelegenheit“ geworden. Die Oppositionsparteien prangern schon lange Schüssels üppiges Honorar für den Job an – pro Jahr streift er immerhin mehr als 100.000 Euro ein. Doch seit gestern ist der Ton deutlich schriller geworden: Da gab nämlich RWE bekannt, dass Klage gegen die von der deutschen Regierung verfügte vorübergehende Einstellung des AKW Biblis eingebracht wird (siehe auch Bericht auf Seite 21). Ein Beschluss, der selbstverständlich auch vom RWE-Aufsichtsrat mitgetragen wird. Also offenbar auch von Wolfgang Schüssel. Und der ist immerhin auch Nationalratsabgeordneter der ÖVP – die wiederum einen strikten Antiatomkurs fährt.

Die Grünen forderten gestern umgehend den Rücktritt Schüssels als Nationalratsabgeordneter, die FPÖ meinte, er solle sich zwischen einer der beiden Funktionen entscheiden. Der Regierungspartner SPÖ wollte nicht gar so weit gehen, verlangte aber immerhin eine öffentliche Stellungnahme Schüssels.

Doch seitens der Volkspartei herrschte gestern, Samstag, absolute Funkstille zu dem Thema. Offenbar ist in den Tagen zuvor schon alles gesagt worden: ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf etwa meinte zuletzt, die RWE sei am Kärntner Energieversorger Kelag beteiligt, es sei also „im österreichischen Interesse“, dass Schüssel im Aufsichtsrat des Konzerns sitze.

Und Schüssel selbst äußerste sich vor wenigen Tagen in einem „Kurier“-Interview zu seinem umstrittenen Aufsichtsratsmandat: „Die RWE ist primär kein Atomkonzern“, sagte er, „sondern hat einen großen Anteil an Kohlekraftwerken. Zuletzt hat RWE stark in erneuerbare Energie investiert.“ Außerdem sei er „kein Lobbyist, sondern ein unabhängiger Aufsichtsrat, der eine Kontrollfunktion in einem deutschen Energie-Unternehmen innehat“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

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