Die Zukunft der Koalition hängt an der Wehrpflicht

Rot-Schwarz wird die Entscheidung über die Einführung eines Berufsheers auf die lange Bank schieben – sonst gehören beide Parteien zu den Verlierern.

Nach der Umbildung des ÖVP-Teams steht die Regierung jetzt vor einer Richtungsentscheidung: Will sie in den mehr als zwei Jahren bis zur nächsten Nationalratswahl noch weiterarbeiten oder sich gleich auf die kommende Wahlschlacht einstimmen? Wenn die beiden Parteien bei der Frage der Wehrpflicht den bisherigen Kurs beibehalten, ist der große Koalitionskrach unausweichlich.

Für die Koalitionspartner sind dabei diametral entgegengesetzte Standpunkte einzementiert: Die SPÖ will, ausgelöst von einer Laune ihres mächtigsten Landesparteichefs, des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, im Wiener Wahlkampf, die Abschaffung des verpflichtenden Grundwehrdienstes und die Einführung des Berufsheers und einer Freiwilligenmiliz. Die ÖVP dagegen will den Grundwehrdienst auf jeden Fall beibehalten, wenn auch in einer reformierten Form.

Derzeit wird nach einem Kompromiss gesucht, aber: Dieser ist schlicht und einfach nicht möglich, wenn nicht eine der beiden Seiten nachgibt und von ihrem Standpunkt abrückt. Man kann die Wehrpflicht nicht ein bisschen abschaffen oder ein bisschen beibehalten. Aber das Nachgeben ist mit Gesichtsverlust verbunden – mit gravierenden Auswirkungen für den nächsten Wahlkampf.

Wesentlich schlimmer sind aber die Folgen für die Koalition, wenn keiner nachgibt: Dann muss es wohl zu einer Volksbefragung zur Wehrpflicht kommen, mit allem, was dazugehört: einem heftigen Wahlkampf, in dessen Verlauf die Arbeit in der Regierung ruht, und einer Lagerbildung von Rot-Grün-Orange (für das Berufsheer) und Schwarz-Blau (für die Wehrpflicht). Den Ausgang vermag derzeit niemand abzuschätzen: Reicht der SPÖ die Unterstützung von „Kronen Zeitung“ und anderen mit großzügigen Inseraten gesponserten Boulevardmedien für einen Systemwechsel in der Verteidigungspolitik? Oder haben die ÖVP-Strategen recht, die auf die Verankerung des Bundesheers im ländlichen Raum und auf den dort vorherrschenden Wunsch nach effizientem Katastrophenschutz setzen?

Absehbar ist jedoch: Dass man danach zur Tagesordnung übergehen und normal weiterregieren könnte, scheint undenkbar. Die Koalition würde an einer Abstimmungsschlacht zerbrechen und den Weg für baldige Neuwahlen freimachen.

Dieses Szenario ist auch den beiden Regierungsparteien bekannt und schreckt sie gleichermaßen: Vorgezogene Neuwahlen liegen nicht in ihrem Interesse und würden der Opposition in die Hände spielen. Denn FPÖ, Grüne und – so es da noch eine Rolle spielt – das BZÖ könnten mit einiger Berechtigung die schwache Performance von Rot-Schwarz anprangern. Die Koalition hätte dann das Geschenk von zwei wahlfreien Jahren nicht für Reformen genutzt, sondern für Streit – und das wird von den Wählern gnadenlos abgestraft.


Auch wenn sich das Bundesheer in einem desolaten Zustand befindet und eine rasche Entscheidung über Reformen benötigen würde: Aus der Sicht der Regierung ist es jetzt die sinnvollere Alternative, alles auf die lange Bank zu schieben. Begründen ließe sich das immerhin: Ein derart massiver Systemwechsel, wie ihn die SPÖ propagiert, muss nicht innerhalb eines Jahres entschieden und umgesetzt werden. Davor könnte man ausgefeiltere Modelle für ein künftiges Heer entwickeln, als dies der Generalstab hektisch innerhalb weniger Wochen und aufgrund sehr enger Vorgaben machen musste. Und man könnte sich noch die Erfahrungen in Deutschland und Schweden mit einem Freiwilligenheer genauer ansehen. Wenn sich dort kaum Freiwillige melden, wie sich das jetzt abzeichnet, kann man das Ganze gleich vergessen.

Vielleicht verändern sich im Zuge der Diskussion auch die Standpunkte. Denn absurderweise geht es bei dem ganzen Konflikt ja überhaupt nicht um ideologische Differenzen. Niemanden würde eine Debatte mit umgekehrter Rollenverteilung wundern: Zur ÖVP würde es sogar besser passen, wenn sie für ein professionelles Berufsheer einträte, während die SPÖ den demokratischen Charakter der Wehrpflicht betonte.

E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2011)

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