Vorfreude

Die Vorfreude ist das Beste am Songcontest. Das wissen Stermann, Grissemann und sogar die großen Dichter bei den Printmedien.

Der Mediator hat diesmal ein Problem: Was schreibt man über ein epochales Ereignis wie den Sängerstreit von Düsseldorf, wenn am Sonntag nach Auslieferung der Zeitung längst feststeht, wer gewonnen hat? Dieser Aufgabe der selektiven Prophetie hatte sich jeder Sender und jedes Blatt in Europa seit Wochen zu stellen. Die Hysterie hat sich hierzulande in der Nacht auf Freitag verdichtet, als die junge Frau aus Tirol ins Finale am Samstag vorstieß.

Solch ein Teilsieg erfordert umsichtige Planung bei der Gestaltung der ersten Seite. Am poetischsten hat sie die U-Bahn-Zeitung „Heute“ gestaltet, Wiens Fachblatt für Harmonien. „Österreicher überlebt 11-Meter-Monsterwelle“ wird getitelt. Darunter sieht man ein Bild der erwartungsfrohen Frau Beiler mit den noch viel größeren Lettern: „Finale! Nadine, du strahlst wie ein Sieger.“ Innen steht sogar noch, warum das um 22.56 Uhr so war: „Sie spannte ihre Flügel und hob ab!“


„Gott schütze Dich“. Gott sei Dank gibt es in diesem Land noch optimistische Überflieger. Der „Standard“ gab sich nämlich tags darauf gar nicht rosig. Unter dem Titel „Der Ohnmacht nahe“ wurde ausgerechnet, wie teuer so ein Endsieg sein kann, weil der nächste Wettbewerb im Land des Gewinners stattfindet: „Nicht so wenige werden hoffen, dass Nadine Beiler den Song Contest nicht gewinnt. Die Ausrichtung kostet viel Geld.“ Die Show in Düsseldorf schlage mit rund 30 Millionen Euro zu Buche – „ein Betrag, bei dem nicht nur im ORF so manchem der Atem stockt“. Wer wird denn in solch einem historischen Moment derart kleinlich sein? Die „Kronen Zeitung“ berichtet nicht nur über die „Nadine-Mania“ in Inzing: ,Das ist das Siegerlied!“, sondern lässt auch die edelsten Poeten über das Phänomen Nadine nachdenken, was sogar die besten Menschenkenner überfordert: „Vielleicht ist die wahnsinnig nett“, mutmaßt Marga Swoboda, um dann darüber zu klagen, dass man ihr den Kopf zugeschüttet habe mit Nadine, „man hat das Mädchen so was von durch die Medien gepeitscht“. Stimmt! Sie bekommt sogar „Post von Jeannée“. Der bekennt zwar, kein Fachmann zu sein, sondern nur „ein Mann, der schon viel gesehen und erlebt hat“ in dieser Branche der Lüge und Verstellung, aber „noch nie zuvor etwas derart Unverfälschtes“ wie die „kleine Nadine“. Deshalb sagt er voller Inbrunst: „Gott schütze Dich.“

Das braucht es doch gar nicht! Wer so ausführlich von den größten Songcontest-Beobachtern des Jahrhunderts analysiert worden ist, hat schon gewonnen. Die TV-Stars Stermann und Grissemann sind seit Monaten regelrecht vernarrt in die resche Tirolerin und ihren Satz: „I gwinn enk jetzt den Schas!“ Wer gesehen hat, zu welchem Sympathieträger Grissemann im feschen Dirndl wird, wenn er per Playback mit Nadines Stimme „The Secret Is Love“ jodelt, seine Flügel spannt und abhebt, der weiß: Der Himmel hat entschieden. Gott schütze Österreich!

norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

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