Georgien: Modern, moderner, Tiflis?

Temo Bardzimashvili, n-ost
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Mit spektakulären – auch internationalen – Projekten positioniert sich die georgische Hauptstadt. In der Bevölkerung werden die teuren Prestigebauten auch kritisiert.

Tiflis - Ihre Botschaft vermittelt die georgische Hauptstadt dem Besucher gleich nach der Ankunft, laut und unmissverständlich: Tiflis ist modern geworden! An der Einfahrtstraße vom Flughafen strahlt einem der neue Sitz des Innenministeriums entgegen: ein futuristischer Bau aus fließenden Linien und geneigten Ebenen, vollkommen gläsern und die ganze Nacht hindurch hell erleuchtet. Hier wird, sagt dieser Bau, rund um die Uhr für den Fortschritt des Landes gearbeitet – und zwar vollkommen transparent.


Mit ebenso spektakulären Neubauten überrascht die Innenstadt. Da schlendert man durch gewundene Gassen, vorbei an geduckten Häusern mit windschiefen Treppchen und unzähligen Balkonen, die berühmt sind für ihre geschnitzten Verzierungen und für das Weinlaub, das sich im Sommer um die Pfosten rankt.

Brücke des Friedens


Und plötzlich öffnet sich der Blick auf eine gigantische Brücke, eine 150 Meter lange Konstruktion aus Stahl und Glas, die sich in kühnen Bögen über Mtkwari-Fluss schwingt. Kurz vor Sonnenuntergang beginnt sie zu flimmern und wird zu einer überdimensionalen Welle aus Licht. 30.000 LED-Leuchten verwandeln ihr Dach in eine fluoreszierende Amöbe, an den Geländern laufen in Morse-Schrift Buchstaben entlang: die Namen der chemischen Elemente.


„Die Lichter symbolisieren die Grundlage des Lebens, den Frieden zwischen den Menschen“, erklärte der französische Lichtdesigner Philippe Martinaud zur Eröffnung im Mai 2010, denn es hatte eine „Brücke des Friedens“ sein sollen. Präsident Michail Saakaschwili fügte hinzu, das neue Werk stehe für Georgiens Weg in eine lichte Zukunft, für die Transparenz und Modernität seiner Regierung.

Frühere Proteste


Nestan Tatarschwili zieht grimmig die Stirn in Falten, wenn sie sich daran erinnert. „Als er noch nicht an der Macht war, hat Saakaschwili mit uns gegen rücksichtslose Neubauten protestiert“, so die 50-jährige Architektin, „jetzt macht er genau so weiter, nur in viel größerem Maßstab.“


Für den vor zwei Jahren fertig gestellten Präsidentenpalast seien ganze Straßenzüge zerstört worden, kritisiert Tatarschwili. Der neoklassizistische Palast mit Säulen, Dreiecksgiebel und einer eiförmigen Kuppel aus blau verspiegeltem Glas sieht aus wie der kleine Bruder des Deutschen Reichstags, wenn auch etwas verwachsen. Wie viel er gekostet hat, darüber konnten georgische Medien nur spekulieren, die Mutmaßungen schwankten zwischen 40 und hundert Millionen Lari (das sind rund 17 bis 41 Millionen Euro).

Lockruf an Ausländer


Während Kritiker die enormen Ausgaben für Prestigebauten beklagen, will die Regierung mit  umfangreichen Ausschreibungen ausländische Investoren anlocken. Anfang März unterschrieb der US-amerikanische Immobilienmogul Donald Trump einen Vertrag über den Bau zweier Luxus-Wolkenkratzer in Georgien. Einer soll als 40-stöckiger „Trump Tower Tbilisi“ zum höchsten Gebäude der Hauptstadt werden, der andere soll mit exquisiten Appartements, Kasino und Privathafen das circa 300 Kilometer von Tiflis entfernte Batumi schmücken.


Die Hafenstadt am Schwarzen Meer steht beispielhaft für den Bauboom der vergangenen Jahre. Der spanische Architekt Alberto Domingo Cabo hat in Batumi auf sieben Kilometern eine der längsten Strandpromenaden der Welt geschaffen. Der Italiener Michel De Lucchi – Architekt des Innenministeriums und der Brücke des Friedens – baut dort ein hypermodernes Hotel und das Berliner Büro Zvi Hecker ein Großaquarium mit Voliere. Dazu kommen unzählige Pläne für Einkaufszentren und Bürogebäude, die Batumi zum international begehrten Urlaubs- und Konferenzort machen sollen. Ein paar Kilometer weiter nördlich hat die Regierung Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen Unternehmen ab einer bestimmten Investitionssumme Grundstücke zum Symbolpreis von einem Lari (42 Cent) erhalten und dazu kommt: Sie müssen 15 Jahre lang keine Gewinnsteuern zahlen.

Ablehnung oder Zustimmung?


Dass Georgien mit großen Schritten Richtung Moderne strebt, dagegen hat Nick Schawischwili, der in Tiflis ein Architekturbüro betreibt, nichts einzuwenden. Was den 56-Jährigen stört, ist allerdings, dass fast nur Ausländer beauftragt werden, wenn es um die Realisierung wichtiger Bauten geht. „Die Regierung traut georgischen Architekten so etwas nicht zu“, glaubt er – „zu Unrecht“.

Mit einer Meinung über die neuen Gebäude in seiner Stadt hält er sich zurück. „Ich ignoriere sie einfach“, sagt er – um wenig später den Ekklektizismus des Präsidentenpalasts  zu beschreiben. Und das gläserne Ministerium, die funkelnde Brücke? „Die sind akzeptabel“, sagt Schawischwili, „wenigstens sind sie wirklich modern.“
Das Innenministerium an der Straße zum Flughafen hält diesem Urteil nur auf den ersten Blick stand. Die transparente, fließende Fassade mit den geneigten Wänden ist tatsächlich nur Fassade. Hinter ihr verbirgt sich ein Regierungsgebäude im konventionellen Stil, mit senkrechten Wänden und geraden Korridoren. Und in den unteren Etagen, wo die wichtigsten Büros liegen, ist es auch mit der Transparenz vorbei: Dort sind die Wände ganz herkömmlich aus Beton.

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