Der Parteitag des Funktionärs: Alte Werte, neue Schärfe

ÖVP-Parteitag. Michael Spindelegger übt das Amt des Parteichefs schüchtern, nüchtern und fehlerfrei aus. Josef Pröll übergibt den Hof gerührt.

Innsbruck. Ganz wohl fühlt er sich offenbar noch nicht in der neuen Rolle: Als sich Freitagfrüh in Schwechat die Fluggäste von Wien nach Innsbruck versammeln, sind fast nur ÖVP-Politiker darunter. Dass sie alle auf dem Weg sind, um Michael Spindelegger zu ihrem Chef zu küren, merkt man kaum. Der Vizekanzler steht fast schüchtern am Rand, grüßt höflich jeden Einzelnen. Immer wieder an diesem Tag wird er das tun: kurz lächeln, nicken und schnell weitergehen. Solide und nüchtern sollte der Tag über die Bühne gehen, große Gesten liegen dem neuen ÖVP– Chef mit der babyblauen Krawatte nicht.

So ist auch der Parteitag in Innsbruck organisiert: zurückhaltend und ohne große Symbolik. Spindelegger zieht zwecks Heimvorteils mit den Tirolern in den „Congress“ ein: mit Landeshauptmann Günther Platter, dem neuen Generalsekretär Hannes Rauch, einem Tiroler, und der Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer. Ernst ist sein Gesichtsausdruck, er wirkt angespannt. Als die Schützenmusikkapelle von Aldrans zur Begrüßung den Marsch bläst, ringt sich Spindelegger ein Lächeln ab. Die Marketenderinnen kredenzen Schnaps, der Vizekanzler beäugt das Glas ein wenig skeptisch, kippt es dann – dem Lokalpolitikerbrauch entsprechend – schnell hinunter.

Pröll: „Es war wirklich knapp“

Im „Congress“-Inneren füllt sich langsam der Dogana-Saal, in dem die Bühne steht. Aus allen Bundesländern marschieren die Delegierten ein, und ganz vorn sitzt einer, der hier, in Innsbruck, vor einigen Wochen einen Lungeninfarkt erlitten hat, mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden musste und am Ende Glück hatte. „Es ist nicht selbstverständlich, dass ich mich heute von euch verabschieden kann“, sagt Josef Pröll, zu diesem Zeitpunkt noch Parteichef. Man glaube das nicht, wenn man, wie er, erst 42 Jahre sei: „Es war wirklich knapp.“

Er habe immer alles gegeben, sagt Pröll, „jeden Tag“. Vielleicht hätte er manchmal zurückstecken müssen, „aber das ist mit meiner Persönlichkeit nicht vereinbar“. Er dankt seinem Regierungsteam, der ganzen Partei, sogar den Bürgermeistern. Niederösterreich und seinen Onkel Erwin, der es ihm nicht immer leicht gemacht hat, erwähnt er nicht.

Einen Seitenhieb auf die Bünde und Landesparteien kann sich Pröll dennoch nicht verkneifen, wenn er ihn auch fein säuberlich in einen Appell verpackt: „Es geht nicht um Entlastung des Parteichefs und Vizekanzlers, es geht um Unterstützung: Lernen wir aus den Diskussionen der letzten Jahre.“ Er wünsche sich ein Signal der Geschlossenheit, „damit wir ab 2103 wieder den Ton angeben“, sagt Pröll. Dann tritt er ab. Die Delegierten erheben sich zum Applaus, eine Minute, zwei Minuten, drei. Der scheidende Parteichef ist gerührt, er verschickt Küsse, winkt und setzt sich. Der Hof ist übergeben.

Dann tritt Spindelegger ans Rednerpult und dankt zunächst seinem Vorgänger: „Der überraschende Rückzug von dir, lieber Josef, hat niemanden von uns kaltgelassen. Du hast uns als Parteiobmann neue Perspektiven aufgezeigt. Du warst ein Vizekanzler, der oft mehr Kanzler war. Und du bist dafür an die Grenzen deiner Gesundheit gegangen.“

„Nicht mit uns selbst beschäftigen“

Die Entscheidung für die Gesundheit, für die Familie, das ringe ihm Hochachtung ab, sagt Spindelegger: „Sie zeigt uns allen, dass im Mittelpunkt der Politik nur der Mensch stehen kann.“ Unweigerlich kommt der Vizekanzler auf die internen Probleme zu sprechen: „Unser Match“, sagt Spindelegger, „ist das mit SPÖ, FPÖ und Grünen. Und nicht innerhalb unserer Gemeinschaft. Wenn wir uns mit uns selbst beschäftigen, erledigen wir nur das Geschäft der anderen.“

Also beschäftigt er sich mit den anderen: Die SPÖ habe ihr „gestörtes Verhältnis zum Eigentum“ noch immer nicht abgelegt (siehe auch Seite 1). Die Grünen wollten die Schleusen in der Migrationspolitik „völlig offen halten: Das ist die Einladung an jeden in der Welt, zu uns zu kommen. Doch das ist zu viel, das kann unser Land nicht tragen.“

Und die FPÖ? Heinz-Christian Strache, sagt der designierte Parteichef, sei „der Nostradamus des 21. Jahrhunderts“. Wenn es nach dem FPÖ-Chef ginge, müsste die Welt schon mehrmals untergegangen sein. „Jedes Jahr wären wir schon überrannt worden, einmal von Asylanten, dann von Spekulanten und jetzt von Immigranten.“

Dabei hätten die Freiheitlichen ein internes Problem, eines mit der „extremen Rechten“: Wer am 8. Mai mit Fackeln in der Hand auf dem Heldenplatz stehe, orientiere sich an der Vergangenheit, nicht an der Zukunft. Da helfe auch keine Absage in letzter Sekunde. „Wir brauchen ein anderes Bild von Österreich – keine rechte Provokation und keine Weltkriegsnostalgie.“

Die Rede ist über weite Strecken sachlich und nüchtern. Fehler macht Spindelegger kaum, große Emotionen vermag er auch nicht wirklich zu entfachen. Ein paar Mal wagt er Scherzchen: Via „WikiLeaks“ sei öffentlich geworden, was ihm die Amerikaner vorwerfen – nämlich, dass er sich als Außenminister zu sehr um die Wirtschaft kümmere: „Da sage ich nur: danke für das Kompliment.“ Witziger finden die Delegierten den Seitenhieb auf das BZÖ, das Spindelegger, wie er meint, beinahe vergessen hätte: Über das Bündnis falle ihm nicht einmal „beim besten Willen“ etwas ein.

Am Ende richtet er seine Worte an die eigene Partei: „Ich frage euch: Wenn wir als ÖVP erfolgreich sein wollen, wer wird uns dabei helfen? Die Antwort ist ganz einfach: Es liegt an uns. Nur an uns.“ Die Volkspartei müsse den Menschen zeigen, wofür sie stehe: „Für den Einzelnen und seine Leistung. Für unsere christdemokratischen Werte. Für die Familie, für Wirtschaft, Gemeinwohl und Zusammenhalt.“ Er will jene zurückholen, „denen wir in letzter Zeit nicht mehr attraktiv genug waren: Menschen in den Städten, junge, kritisch-liberale, die ethisch-moralische Positionen suchen, aber ihre individuelle Freiheit schätzen.“ Aus der ÖVP solle „eine moderne Bürgerpartei“ werden, sagt Spindelegger. Er selbst strebt offenbar nach Höherem: „Mein Ziel ist nicht irgendeine mittlere Ebene, ein geruhsamer zweiter Platz. Das kann höchstens eine Zwischenetappe sein.“ Das Ziel des Vizekanzlers „ist der Gipfel, die Spitze. Denn dort gehört sie hin, unsere ÖVP.“

ÖVP-Verkehrssprecher Maier muss gehen

Auf dem Weg dorthin gilt es anscheinend, alle auf Linie zu bringen. Eine Maßnahme wurde bereits getroffen: Ferry Maier, notorischer Kritiker der eigenen Klubchefs, verliert die Position des Verkehrssprechers wegen eines Gutachtens über den Brenner-Tunnel, das bewusst negativ hätte ausfallen sollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2011)

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