Ausstellung: Ai Weiwei, der Gestalter von Raum

(c) Kunsthalle Bregenz (Markus Tretter)
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Die Kunsthalle Bregenz zeigt die architektonische Arbeit des chinesischen Künstlers und Dissidenten. In ihr nimmt sein soziales Gewissen gebaute Form an. Ai Weiwei darf Peking derzeit nicht verlassen

FREE AI WEIWEI steht in riesigen Buchstaben auf dem Dach des Kunsthauses Bregenz, wo heute eine große Personale des chinesischen Künstlers eröffnet wird, in der es um Ai Weiweis Flirt mit der Architektur geht, wie bereits der Titel der Schau, „Art/Architecture“, andeutet.

Kurz nachdem festgestanden sei, dass er Direktor des Kunsthauses Bregenz werden wird, habe er Kontakt mit Ai Weiwei bezüglich einer Ausstellung aufgenommen, so Jilmaz Dzivior. Kurze Zweifel an ihrem Zustandekommen hätten ihn nur beschlichen, als der Künstler Anfang April am Flughafen von Peking festgenommen worden ist und für zweieinhalb Monate verschwunden blieb.

Statements, in Form verpackt

Etwas enttäuschend ist allerdings die Schau, besonders für den, der vor zwei Jahren Ai Weiweis großartige Personale im Münchner Haus der Kunst bzw. ein Jahr später die in der Tate Modern in London gesehen hat. Ist in Bregenz doch weniger der einzigartige Künstler präsent als der Netzwerker zwischen Kunst und Architektur. Allerdings wird beim Gang durch das Haus Stock für Stock das Gezeigte mehr und mehr zu in Architektonisches oder Möbelartiges verpackten Statements, in denen sich das soziale Gewissens des Künstlers zeigt.

Im ersten Geschoß geht es um Kooperationen zwischen Ai Weiwei und einer Reihe von Architekten. Etwa mit dem Schweizer Büro Herzog & de Meuron, mit dem er das spektakuläre Stadion für die Olympiade in Peking 2008 entwickelt hat, das als „Vogelnest“ zu so etwas wie einem Symbol für dieses sportliche Großereignis geworden ist. Der lange Weg des Entstehens wird durch unzählige Modelle nachvollziehbar gemacht, das Probieren mit Formen und Materialien, das subtile Spielen mit östlichen und westlichen Traditionen – inklusive eines chinesischen Sitzkissens – und die letztlich wunderbare Symbiose aus beiden.

Daneben sind Projekte zu sehen, die in Zusammenarbeit mit dem jungen Schweizer Büro HHF architekten entstanden sind. Das Bemerkenswerteste ist das „laufende Projekt ohne festen Ort“, „Five Houses“, dessen gesamtkunstwerklicher Ansatz eine extravagante Neuinterpretation des Einfamilienhauses darstellt. Als Hybrid der unterschiedlichsten Disziplinen wie Architektur, Möbel- und Textildesign, entwickelt um zwei im rechten Winkel angelegte Achsen, eine „of privacy“ und eine „of generosity“, strukturiert durch ein räumliches „Rückgrat“ aus einem modularen Möbelsystem.

Das gesamte zweite Geschoß ist für Ai Weiweis Projekt „Ordos 100“ reserviert. Es handelt sich dabei um 100 Einfamilienhäuser, die von 100 verschiedenen jungen Architekten aus aller Welt in der Inneren Mongolei gebaut werden sollten, nicht zuletzt als Initialzündung für eine kreative Architekturdiskussion in China. Die Architekten – erstaunlich viele Schweizer – wurden von Herzog & de Meuron ausgewählt, von Ai Weiwei stammt der städtebauliche Masterplan.

Projekt bleibt Modell

Das ehrgeizige Projekt wird wohl nicht verwirklicht, für die Bregenzer Ausstellung gebaut wurde dagegen ein 500 Quadratmeter großes hölzernes Modell. Es ist eigentlich eine Skulptur aus 100 Teilen, in denen das Architektonische zu großen abstrakten Formen reduziert ist, die bewusst machen, wie unterschiedlich Häuser sein können. Wobei die Auseinandersetzung der westlichen Architekten mit chinesischen Traditionen des Bauens evident ist, gegossen in poetische Hofhäuser, aber auch in pure Würfel oder Kugeliges oder Hausiges mit Giebel- bzw. Pagodendächern.

Wieder einen Stock höher glaubt man sich am ehesten in einer Kunstausstellung. Hier stehen acht riesige hölzerne Skulpturen, die an in höchster handwerklicher Perfektion gebaute Kästen erinnern. Ohne solche zu sein. So sind in die exakt nach einem von Ai Weiwei festgelegten Stellplan in zwei Reihen positionierten „Moon Chests“ große Löcher geschnitten. In jedem der acht Teile anders, die verschiedensten Mondphasen bildend. Zu lesen als Metapher für den labilen Zustand der Welt genauso wie den von Ai Weiwei.

Er darf Peking in den kommenden zwölf Monaten nicht verlassen und nicht über seine Situation reden. In aller Welt wird gegen diese untragbare Situation mobil gemacht, auch in Bregenz. Durch die von den unterschiedlichsten Künstlern gestalteten Billboards, die zum Kunsthaus hinführen, und die roten, mit dem Satz „Free Ai Weiwei“ bedruckten Taschen, die die Besucher der Ausstellung nach dem Besuch der Schau hoffentlich demonstrativ spazierenführen.

Bis 16.Oktober.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2011)

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