Lucian Freud: „Besessenster Maler des Fleisches“ ist tot

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Lucian Freud, der Enkel von Sigmund und bedeutendster Porträtist des 20. Jahrhunderts, ist nun im Alter von 88 Jahren in London gestorben. Eine Auswahl seiner Bilder kommt 2013 ins Kunsthistorische nach Wien.

Die Queen hielt sich mit einem öffentlichen Urteil zurück, als sie 2001 das Porträt geliefert bekam, das sie von Lucian Freud hatte malen lassen, Aber ein Palastsprecher lobte es als „äußerst kraftvolles Bild“. Das traf es gut, das ganze Werk des Künstlers, der seit Beginn der 1960er-Jahre mit Wucht und dicken Farbschichten einem Thema nachspürte: Freud suchte das Innerste des Menschen in seinem Äußersten, im Fleisch und in der Haut; schonungslos legte sein sezierender Blick die Details bloß, oft die des Hässlichen und des Verfalls.
Damit folgte er partiell seinem Großvater Sigmund, der auch ganz tief drang, es allerdings wienerisch diskret anging, in der Intimität der Couch und mit dem Ohr. Lucian hingegen wuchs in einer lärmenden Stadt auf, er wurde 1922 in Berlin geboren, fand nicht leicht ins Leben, war ein schlechter und aufsässiger Schüler – aber ein scharfer und geduldiger Beobachter, der Porträtierte oft tausende Stunden Modell sitzen ließ –, auch in London, wohin die Familie 1933 emigrierte und wo Freud, der 1939 die britische Staatsbürgerschaft erhielt, die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Sein Handwerk lernte er in Kunstschulen, er setzte sich zunächst vor allem mit dem Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit auseinander.

Landschaft des Körpers und des Gesichts

Bald fiel seine seelische Empfindsamkeit auf, er brachte Landschaften, Blumen und Kinder mit dem Zeichenstift auf Papier oder dünn auf Leinwände. In den Fünfzigern fand er zu seinem zentralen Thema, der Landschaft des Körpers und der des Gesichts. Anfang der Sechziger wandelten sich sein Blick und sein Stil, „von der Psychologie zur Physiologie, von der hyperrealistischen, kühlen Präzision zum pastosen Pathos der Moderne. Der spirituelle Freud konvertierte zum fanatischen Materialisten. Das Material ist der Stoff der Farbe, der im nackten Fleisch sein Äquivalent findet“, formulierte ein Kunstkritiker der „FAZ“ 2002. Andere hielten sich kürzer, nannten Freud den „besessensten Maler des Fleischs“.
Das sprang dem Betrachter immer direkter und farblich dicker aufgetragen ins Auge, manchen gefiel die Schonungslosigkeit nicht, andere erinnerte sie an die von Egon Schiele, der ebenso besessen die Wahrheit in den Körpern suchte. Aber bei ihm waren sie zerschlagen und zerschunden – das waren sie oft auch bei Freuds Kollegen und Freund Francis Bacon –, bei Freud waren sie im Verfall, da hingen in den Aktbildern die üppigen Brüste und die schlaffen Glieder hoffnungslos herunter, da war die Queen im Porträt so zerfurcht, dass der Boulevard forderte, den „Maler in den Tower“ zu werfen und das „Bild ins Klo zu hängen“. Nein, Freud schmeichelte nicht: „I paint people, not because of what they are like, not exactly in spite of what they are like, but how they happen to be“, erklärte der Öffentlichkeitsscheue einmal.
Er nahm sich selbst nicht aus, ein Selbstporträt zeigt ihn mit einem blauem Auge, er war öfter in Schlägereien verwickelt: „Der Grund war nicht, dass ich so gern kämpfe; die Leute haben wirklich Sachen zu mir gesagt, auf die ich meiner Ansicht nach nur mit Fäusten antworten konnte.“ Was das war, verriet er nicht, vielleicht warfen sie ihm sein Privatleben vor – die unehelichen Kinder sollen sich auf 40 summiert haben –, vielleicht versuchten sie sich auch mit allzu platter (Sigmund) Freud'scher Interpretation seines Werkes: Ein Kritiker der „NZZ“ etwa diagnostizierte 1993 Freuds „Leiden am Geschlecht und die Ausweglosigkeit seines Unglücks der Liebesunfähigkeit, das ihn ohne Unterlass zu Exhibitionismus und Voyeurismus zwang.“

Höchster Preis für lebenden Künstler

Wie auch immer, vor allem in England konnte Freud schon früh das Interesse vieler Privatsammler auf sich lenken – ökonomische Sorgen hatte er keine; der internationale Erfolg kam später, nach einer Retrospektive, die um die halbe Erde wanderte, auch in seine Geburtsstadt Berlin. Er kam dafür um so üppiger: 2008 versteigerte Christie's sein „Benefits Supervisor Sleeping“ – das 1995 entstandene Bild einer fetten Schlafenden auf einem Sofa – für 33,6 Millionen Pfund, es war der höchste Preis für das Werk eines lebenden Künstlers.
Nun ist er tot, er soll mit seinen 88 Jahren in London friedlich eingeschlafen sein. Aber sein Werk lebt, man wird es bald auch in Wien betrachten können. Es wird eine Premiere, Freud hatte sich bis fast zum Ende geweigert, in Österreich auszustellen, aber dann wählte er die Bilder doch noch selbst aus: „Er hatte aus politischen und persönlichen Gründen kein gutes Verhältnis zu Österreich“, berichtet ein alter Bekannter Freuds der APA, Jasper Sharp: Er kuratiert eine Freud-Ausstellung, die im Oktober 2013 ins Kunsthistorische Museum kommt.

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