Die EU schlägt sich im Wettbewerb viel besser als die USA und Japan. Aber die Demografie und falsche Migrationspolitik können den Vorsprung zunichte machen.
Alpbach/Gau. ] Wie Europa dasteht, lässt sich auf eine einfache Formel bringen: „Es hält sich viel besser, als die Kritiker behaupten. Aber es hat auch mehr Schwächen, als selbst seine Gegner meinen.“ So sieht es Daniel Hamilton von der Johns-Hopkins-Universität in Washington – und er weiß sein Urteil eindrucksvoll mit Zahlen zu untermauern.
Noch schlägt sich der alte Kontinent wacker: Als größter Exporteur von Gütern konnte er seinen Anteil (19 Prozent) in den vergangenen 15 Jahren halten, bei hochwertigen Produkten sogar ausbauen. Wirklich alt stehen dagegen die USA und Japan da: Sie haben jeweils sechs Prozentpunkte verloren, die sich vor allem China geschnappt hat.
Und es gibt noch Potenzial, dem „schlafenden Riesen“ Dienstleistungen sei Dank: Sie tragen zwar 70 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei, aber nur 23 Prozent zu den Ausfuhren. Sicher: Das Haareschneiden oder Bettenmachen kann man schwerlich exportieren. Aber beim Service, das sich zusammen mit Gütern wie Autos oder Maschinen verkaufen lässt, sei noch viel drin (was Japan sträflich vernachlässigt hat). „Dort sind die Jobs zu holen“, verriet Hamilton bei der Abschlussdiskussion der Wirtschaftsgespräche in Alpbach, die von „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker moderiert wurde.
Beste Startbedingungen also. Wäre da nicht die leidige Demografie, die einen bösen Strich durch die Rechnung macht: Die Bürger Europas werden immer älter und dennoch weniger. 60 Millionen Werktätige gehen in dieser Dekade verloren. Um den Aderlass zu verhindern, müsste sich die Zahl der Einwanderer verdreifachen. Das stößt nicht nur auf sattsam bekannte Widerstände der Alteingesessenen. Es verhindert, für sich genommen, auch nicht den Verlust von Talent und Know-how. Denn ein Magnet ist Europa nur für schlecht Ausgebildete: 85Prozent der ungelernten Migranten zieht es hierher, nur fünf Prozent in die USA. Bei Fachkräften ist es umgekehrt: 55 Prozent gehen in die USA, fünf Prozent in die EU. Und ganz schlimm sieht es bei den Hochqualifizierten aus: Sie stellen weniger als zwei Prozent der Einwanderer. Zum Vergleich: In Australien sind es zehn Prozent, in Kanada über sieben.
Hamilton gewährt eine Schonfrist: „Noch haben die aufstrebenden Mächte die Weltwirtschaft nicht auf den Kopf gestellt.“ Aber 2020 ist die „Deadline“. Bis dahin entscheidet sich, ob wir zu den Gewinnern oder Verlierern des Umbruchs zählen.
Aufmunitioniert mit Hamiltons Zahlen-Batterie schlugen die Diskutanten ihre Lösungen vor: Für EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia muss die Union stärker zusammenwachsen, um überleben zu können. Jürgen Stark, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, unterstrich die Notwendigkeit staatlichen Schuldenabbaus: Das Wachstum auf Pump „war nicht tragfähig“, jetzt gäbe es „keine andere Option, als die Haushalte zu konsolidieren“. Die strengeren Fiskalregeln, die Brüssel vorschlägt, „gehen nicht weit genug“.
Spindeleggers „Wirtschaftsplan“
Vizekanzler Michael Spindelegger konzentrierte sich auf Österreich: Für Herbst kündigte er einen „Wirtschaftsplan“ an, um die Wettbewerbsfähigkeit mit einer „Internationalisierungsoffensive“ zu stärken. Den Standort schädigen würde hingegen, die Vorteile bei der Gruppenbesteuerung aufzugeben, wie es Kanzler Werner Faymann jüngst vorgeschlagen hat: „Das ist eines der wenigen Assets, das wir haben.“ Spindeleggers Zahlen dazu: Von der Begünstigung profitieren 2400 Firmen, die ein Drittel aller heimischen Arbeitnehmer beschäftigten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2011)