Rückgang von Autopsien verfälscht Suizidstatistik

(c) Clemens Fabry
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In Österreich hat sich die Zahl der Autopsien in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Mediziner warnen, dass dieser Rückgang die Statistik und damit die Basis für die Gesundheitsförderung verfälscht.

Wien/Apa. Der Rückgang von Autopsien verfälscht laut Forschern der Med-Uni Wien die Suizidstatistik. Eine von Nestor Kapusta von der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie geleitete Studie mit Daten aus 35 Ländern zeigt, dass der Rückgang der Autopsien die Qualität der offiziellen Suizidstatistik reduziert.

In Österreich ist die Autopsierate in den vergangenen 20 Jahren von 35 Prozent auf 17 Prozent zurückgegangen – die Studie von Kapusta wurde jetzt im renommierten US-Fachmagazin „Archives of General Psychiatry“ veröffentlicht. Es stelle sich die Frage, wie lange man den offiziellen Suizidstatistiken überhaupt noch trauen könne, kritisierte der Mediziner: „Das gilt nicht nur für unseren Themenbereich. Es ist eine wichtige Frage für die gesamte Medizin und insbesondere für die Gesundheitsförderung und Präventionsforschung.“

1300 Fälle jährlich

In Österreich sterben jährlich 1300 Menschen durch Suizid, das sind doppelt so viele, wie im Straßenverkehr ums Leben kommen. Die Dunkelziffer könnte aber höher sein, da die Qualität der Suizidstatistik über die Jahre abgenommen hat.

Daher haben Forscher der Med-Uni Wien (anlässlich des Welttages der Suizidprävention am Samstag) Alarm geschlagen und den „dringenden Erhalt der hohen Qualität der österreichischen Todesursachenstatistik und damit auch der Suizidstatistik“ gefordert.

Statistisch gesehen begingen vor 25 Jahren insgesamt 2139 Einwohner in Österreich Suizid, im Jahr 2010 waren es 1261. Obwohl der Rückgang der Suizide auf bisherige Präventionsarbeit wie die Entwicklung des psychosozialen Systems und zunehmende Hilfsangebote zurückzuführen ist, legen die Ergebnisse der Studie nahe, dass die Dunkelziffer steigt, so die Forscher. „In Ländern mit den höchsten Autopsieraten wie etwa im Baltikum oder in Ungarn ist die Suizidrate höher als in Ländern mit niedrigen Autopsieraten. Ebenso werden in Ländern, in denen Autopsieraten zurückgehen, auch zunehmend weniger Suizide verzeichnet“, so Kapusta: „Österreich hatte im internationalen Vergleich immer eine hervorragende Qualität der Mortalitätsstatistik, aber Todesursachen werden immer ungenauer erfasst.“ Gerade bei älteren Menschen würden nahezu keine Autopsien mehr gemacht werden: „Das betrifft nicht nur Suizide, sondern alle Todesursachen. Vor dieser Entwicklung wird auch bereits in den USA gewarnt.“

In Österreich ist man gerade dabei, nach internationalem Vorbild ein nationales Suizidpräventionsprogramm zu entwickeln. Kapusta: „Eine entsprechende Koordination bestehender nationaler Ressourcen und wissenschaftlichen Wissens war seit Langem nötig und wünschenswert.“ Das Programm ziele in Richtung einer großflächigen und dauerhaften Initiative zur Suizidprävention.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2011)

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