Venedig: Goldener Löwe für russischen Film "Faust"

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Venedig Goldener Loewe fuer(c) REUTERS (ERIC GAILLARD)
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In dem Film von Regisseur Alexander Sokurow spielt der Österreicher Johannes Zeiler die Hauptrolle. Als bester Schauspieler wurde Michael Fassbender ausgezeichnet.

Der Goldene Löwe für Alexander Sokurovs freie Goethe-Adaption Faust mit dem Österreicher Johannes Zeiler in der Titelrolle darf als gerechtfertigter Sieg für die Filmkunst gewertet werden. Der Hollywood-Regisseur Darren Aronofsky (Black Swan), Jurypräsident der 68. Filmfestspiele Venedig, lobte anschließend: „Es gibt Filme, die dich zum Träumen, zum Weinen, Lachen und Nachdenken bringen, und es gibt Filme, die dein Leben für immer verändern. Dies ist einer dieser Filme.“

Ein ironisches Licht auf Sokurovs Sieg wirft aber ein Interview, das er am Tag seiner Venedig-Premiere Medien in der russischen Heimat gab: „Ich war auf allen großen Festivals, und es gefällt mir dort nicht. Ich mag das Wettbewerbssystem nicht. Wie kann man behaupten, dass ich besser bin als andere? Regisseure, die sich einen Namen gemacht haben, sollten nicht mit dem Nachwuchs konkurrieren. Wir sollten der Jugend Platz machen!“ Und Sokurov, der als Vorzeigestudent von Regisseur Andrei Tarkowski begann, ist heute der renommierteste Regisseur seines Landes, auch wenn seine unverblümte Art in der Sowjet-Ära oft für Probleme mit der Obrigkeit gesorgt hat: Faust, in deutscher Sprache gehalten (und u. a. noch mit Georg Friedrich und Hanna Schygulla besetzt), ist auch eine epische Kulmination seines mystischen, manchmal exzentrischen Stils, voller fantastischer Bilder und Humor. Sokurov sieht seine Allegorie über die Suche nach der menschlichen Seele auch als Parabel auf die Krise der europäischen Kultur: Goethes Stoff sei so, „als wäre er im 21. Jahrhundert geschrieben worden, nicht im 19. Jahrhundert“.

Siegerfilme: Sexsucht, Rätselspiel, Tsunami


Die restlichen Hauptpreise am Lido wirkten in diesem Licht wie ein Spagat zwischen der Verteidigung europäischer Kultur und Anerkennung eines aufregenderen Kinos aus Asien (die USA, zwar stark vertreten, gingen leer aus). So wurde der deutsch-irische Darsteller Michael Fassbender für seine hypnotische Verkörperung eines Sexsüchtigen in Steve McQueens sehr gekünsteltem Drama Shame prämiert, der irische Kameramann Robbie Ryan erhielt den Technikpreis für die bestechend archaische Fotografie bei Andrea Arnolds angestrengter Neuverfilmung von Wuthering Heights. Der Jurypreis für Emmanuele Crialeses italienischen Immigranten-Kitsch Terraferma kann nur als Anerkennung für die Gastgebernation gelten. Allein der Grieche Yorgos Lanthimos bot mit dem absurd-existenziellen Rätselspiel Alps radikale Innovation – als Trost gab es den Drehbuchpreis (Koautor: Efthymis Filippou).

Der Rest der Wettbewerbsauszeichnungen ging nach Asien: Unangefochten im Fall von Hongkong-Veteranin Deanie Yip für ihre Darstellung im herzzerreißenden Hongkong-Melodram A Simple Life von Ann Hui, nicht ganz so unumstritten beim Silbernen Löwen für die beste Regie an den jungen Chinesen Shangjung Cai, dessen Underground-Drama People Mountain People Sea (eine Redewendung, die „Menschenmassen“ bedeutet) als Überraschungsfilm lief, weil es ohne Erlaubnis des Regimes entstand. Trotz starker sozialkritischer Impulse blieb der Film inszenatorisch etwas diffus – im Gegensatz zur exzessiv dynamischen Manga-Verfilmung Himizu, die der Japaner Sion Sono vor dem Hintergrund der Tsunami-Katastrophe ansiedelte und die seinen Akteuren Shôta Sometani and Fumi Nikaidô den Preis als beste Jungdarsteller eintrug.

Preise für Österreich: Glawogger, Dabernig


Im Zweitbewerb „Orizzonti“ ging ein Hauptpreis auch nach Japan: An Körperkinokünstler Shinya Tsukamoto für seine starke Schizophrenie-Studie Kotoko. Den anderen – den sogenannten Spezialpreis der Jury – durfte verdient der Österreicher Michael Glawogger für seinen eindrucksvollen Prostitutions-Dokumentarfilm Whores' Glory einstreichen. „Ich würde diesen Preis gerne heute nach Thailand, Bangladesch und Mexiko tragen, um den Frauen zu zeigen, wie außergewöhnlich das ist, was sie mir mit auf den Weg gegeben haben. Und dass sie wahrgenommen und verstanden werden“, sagte Glawogger mit Verbeugung vor seinen Protagonistinnen. Der gewitzte Kurzfilm Hypercrisis vom heimischen Künstler Josef Dabernig wurde außerdem von der „Orizzonti“-Jury unter 16 Kandidaten als Nominierung für den europäischen Filmpreis ausgewählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2011)

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Schon vor der Vergabe der Hauptpreise war klar: Der heimliche Sieger der 68. Filmfestspiele Venedig ist Festivalleiter Marco Müller. Der Österreicher Michael Glawogger zählte zu den Gewinnern – im Zweitbewerb "Orizzonti".

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