Jagd: Wo es nicht um Loden und Titel geht

Jagd nicht Loden Titel
Jagd nicht Loden Titel(c) Norbert Rief
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360 Grad: Die Jagd ist in Österreich in Verruf geraten, seit ein Lobbyist zur Flinte griff. Wer die Faszination erleben will, muss mit bodenständigen Jägern ins Revier gehen.

Es gibt Geschichten, die schwer zu recherchieren und zu organisieren sind, am Ende aber doch irgendwie zustande kamen: ein Besuch in Guantanamo Bay beispielsweise, wo die USA die ihrer Meinung nach gefährlichsten Menschen der Welt festhalten; ein Aufenthalt auf einem Flugzeugträger im Kriegseinsatz; ein Tag mit einer Sondereinsatzgruppe der Polizei. Aber nichts, nichts ist so schwierig, wie bei einer Gesellschaftsjagd in Österreich dabei zu sein.

„Unmöglich“, erklärt man kurz und bündig beim niederösterreichischen Landesjagdverband. So viele Gefallen schulde einem niemand, dass er dafür einen Journalisten zu einer Gesellschaftsjagd mitnehmen würde. Einer Jagd, zu der man persönliche Freunde einlädt. Vielleicht noch Geschäftspartner. Einen Jagdausflug mit einem Berufsjäger könne man möglicherweise noch arrangieren. Aber eine Teilnahme an einer Gesellschaftsjagd? Nein, leider, das sei nicht möglich.

Bei einem anderen Jagdverband zweifelt man überhaupt am Geisteszustand des Fragestellers. „Mitgehen? Auf eine Gesellschaftsjagd? Jetzt? Sonst geht's gut?“ Danke der Nachfrage, ja.

Jagen bringt nicht wenige Jäger in Österreich in Verlegenheit. In den Köpfen vieler Menschen ist ein Jäger ein schießwütiger Komplexler, der im Wald austeilt, was er im Alltag einstecken muss. Jedes Argument für die Erhaltung von Land- und Forstwirtschaft, für die Jagd als notwendigen Ersatz für die ausgestorbenen Wölfe und Bären erübrigt sich, wenn das Gegenüber einmal „Bambi“ gesehen hat. Ein kleines, süßes Reh mit kleinen, süßen Rehäuglein – was kann man dem entgegenhalten? Nur eine ehemalige Innenministerin ließ sich nicht von den „Rehlein-Augen“, wie sie sie selbst bezeichnete, der Arigona Zogaj beeindrucken und ordnete die Abschiebung des Mädchens an. Die Ministerin ist übrigens Jägerin.


Gezüchtete Fasane. Einerseits. Andererseits die Gegenwart. Die berechtigte Frage des Jagdverbandes nach dem „Jetzt“. Seit Alfons Mensdorff-Pouilly zu Flinte und Büchse griff, ist das Hobby in Verruf geraten. Als Jagdgesellschaft muss man nicht mehr nur wenig publikumswirksame Fotos von Hunderten erlegten Hasen oder Fasanen fürchten, sondern auch den Staatsanwalt. In den vergangenen Wochen bekam man den Eindruck, dass jeder Jagdausflug in Österreich mit zumindest einer Untersuchung wegen Korruption endete.

Noch ein Andererseits, über das man nicht offen spricht. Bei einigen Gesellschaftsjagden geht es in erster Linie um die jagende Gesellschaft. Sie trifft sich einmal im Jahr, hüllt sich in Loden, das eigens für diesen Ausflug angeschafft wurde; holt die Flinte mit dem Schaft aus Wurzelholz und den edlen Gravuren aus dem Waffenschrank – und dann will man natürlich etwas damit tun. Damit die Gesellschaft etwas damit tun kann, werden teilweise vier Wochen zuvor Dutzende Fasane ausgesetzt. Manchmal lässt man die gezüchteten Tiere sogar erst kurz vor der Jagd aus den Volieren – was nicht ganz so legal ist.

Solches Verhalten ist bei Jägern verpönt. Man straft diejenigen, die Derartiges tun oder an solchen Jagden teilnehmen, mit Verachtung. Bei echten Gesellschaftsjagden, auf denen es weniger um Loden und Titel, sondern um die Waidgerechtigkeit geht, wird man als Teilnehmer sogar gerügt, wenn man einen Fasan oder Hasen auf weniger als zehn Meter Distanz schießt, weil dadurch das Wildbret schwer beschädigt wird.

Aber eben: Die Zuchtfasane passieren, vor allem bei noblen Gesellschaftsjagden. Das ist wie einst beim Kaiser, dem man in Bad Ischl die kapitalen Hirsche vor die Büchse trieb.


Schwur zum Schweigen. Unsere Jagdgemeinschaft ist eine kleine und trifft sich frühmorgens in der Dunkelheit. Das hat zwar rein jagdliche Gründe, passt aber irgendwie zum Arrangement: Niemals dürfe man nämlich sagen, wo man auf der Pirsch ist; niemals dürfe man sagen, wer der Pächter ist; und niemals, niemals dürfe man sagen, wer auf dieser Jagd dabei ist. Der Schwur wurde mit dem Blut eines Auerhahns bei Vollmond unter einer Eiche besiegelt. Das stimmt natürlich nicht, aber viel gefehlt hat nicht.

Die Gesellschaft besteht aus vier Jägern, und es geht um Rehe. Der Abschussplan der Behörde, der vorschreibt, wie viel Rehwild in dem Revier zu erlegen ist, ist noch nicht erfüllt.

Der Wald liegt so dunkel da, wie es nur ein dichter Laubwald kann, der wegen des warmen Wetters noch kaum Blätter verloren hat. Zwischen den Bäumen schwebt Nebel, der die Landschaft aussehen lässt wie ein David-Hamilton-Foto. Zu hören ist zu dieser Stunde nichts außer dem Knirschen der Blätter unter den Füßen.

Eine Gruppe geht zum Hochstand mit Blick auf eine Lichtung, auf der oft Rehe äsen. Die andere pirscht durch das Randgebiet zwischen Wald und Wiese. Die Herausforderung ist, so wenig Lärm wie möglich zu machen und das Wild zu sehen, bevor es Witterung aufgenommen hat. „Jagen“, erklärt einer der Ungenannten, „ist viel Pirsch, viel im Revier sein, viel Betreuung des Wilds und nur ganz, ganz wenig Schießen.“ Er sei nicht einer, dem es wichtig ist, einen möglichst kapitalen Hirsch zu erlegen. „Es reicht mir, wenn ich ihn sehe. Ich bin gerne in der Natur, das Jagen ist das Mittel dazu.“


Zen-Übung auf dem Hochstand. Natürlich gebe es die Jäger, die nur die Trophäe sehen. Das seien die, die sich auch in Osteuropa einen Hirsch in einem Gatter zum Abschuss kauften. „Die machen den Ruf der Jäger kaputt.“ Und natürlich die Affären der jüngeren Vergangenheit, die mit der Jagd in Verbindung gebracht wurden. Andererseits: „Was ist denn mit Golf? Da werden ganz sicher mehr Geschäfte gemacht als auf der Jagd.“

Oben auf dem Hochstand ist eine Zen-Übung angesagt. Man sitzt stundenlang schweigend und sucht mit dem Fernglas den Waldrand ab. An diesem Tag ist die Jagdgöttin der Gruppe nicht hold: Nicht ein Stück zeigt sich, nur einmal glaubt man, irgendwo im Unterholz ein Reh zu hören. Aber das kann vieles sein, wenn der Wunsch so groß ist wie die Anspannung.

Dafür kann man die Natur erleben und eines ihrer faszinierendsten Schauspiele: Als die Sonne langsam über dem Horizont aufgeht, verstummen plötzlich alle Vögel. „Morgenandacht“, nennen das die Jäger. Nach ein paar Minuten geht das Zwitschern und Pfeifen wieder los.

(c) Die Presse / HR

„Um das“, sagt einer der Jäger, „geht es. Und dafür brauch ich nicht den Mensdorff-Pouilly, 20 wichtige Leute und gezüchtete Fasane.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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