Friedrich Cerha: "Was mich alles nicht berührt..."

Friedrich Cerha mich alles
Friedrich Cerha mich alles(c) Fabry
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Vom Enfant terrible ist Cerha zum viel gespielten Komponisten geworden. Im Gespräch erläutert er, wie er gegen Anfeindungen und Eitelkeiten gleichermaßen immun wurde.

Das Festival „Wien Modern“ präsentiert zur Festivaleröffnung heuer eines der Hauptwerke der österreichischen Avantgarde nach 1945, die aus den Sechzigerjahren stammenden „Spiegel“ von Friedrich Cerha. Das Konzert am 28.Oktober mit dem RSO Wien unter Cornelius Meister bildet den Höhepunkt in einer ungewöhnlichen Häufung von Cerha-Aufführungen: 15Werke erklingen in Wien innerhalb kurzer Zeit.

Schon beim Beethoven-Zyklus des Leipziger Gewandhaus-Orchesters im Musikverein erklingt (21.Oktober) vor der Aufführung der 9.Symphonie ein Werk, das Cerha eigens für diesen Anlass komponiert hat. Er reflektiert darin die lebenslange Faszination, die der Beginn von Beethovens Symphonie auf ihn ausgeübt hat.

Ob diese Ballung an Aufführungen und Ehrungen für einen Komponisten, der für viele vor einigen Jahrzehnten noch Persona non grata war, einen Triumph darstellt? „Als ich kaum aufgeführt und befehdet wurde wegen meiner Haltung“, kommentiert Friedrich Cerha, trocken wie stets, „hat mich das nie wirklich berührt. Die jetzige Situation freut mich natürlich. Sie berührt mich im Grunde aber auch nicht.“

Er ist kein Mann der großen Emotionen, jedenfalls nicht, wenn es darum geht, über die jüngere Wiener Musikgeschichte zu referieren. Auf die wechselnde Zuneigung des Publikums und der Kommentatoren hat er sich seinen Reim gemacht: „Als wir mit dem Ensemble ,die reihe‘ begonnen haben“, erinnert er sich an Pioniertage, „waren die Werke, die wir gespielt haben, in Wien völlig unbekannt und der klangliche Eindruck für den Rezipienten etwas völlig anderes, als er normalerweise im Konzert gehört hat. Das war's, was den Schock ausgelöst hat.“

Dabei sollte man annehmen, dass nach den Erfahrungen im Dritten Reich das Interesse an Neuem enorm hätte sein müssen: „Die Fünfzigerjahre“, korrigiert Cerha, „waren in Österreich in Wahrheit die konservativsten. Nur unmittelbar nach dem Krieg war man offener, hatte das Gefühl, etwas nachzuholen zu müssen. Bald aber dominierten, wenn überhaupt Musik des 20.Jahrhunderts gespielt wurde, die Werke von Neoklassizisten.“ Womit die Nachfolger der „Wiener Schule“ auf ziemlich verlorenem Posten standen.

Die Gründung des Ensembles „die reihe“ sollte Abhilfe schaffen, aber ohne Scheuklappendenken: „Wir wollten alles vorstellen, was seit der Jahrhundertwende komponiert wurde. Wir haben Schwerpunkte für Schönberg gemacht, aber auch für Edgar Varèse, für Webern, aber ebenso für Satie oder Hindemith.“

Musik beim Teppichhändler. Das Publikum rekrutierte man vor allem durch Mundpropaganda: „In den Fünfzigerjahren hat es ja einen Kreis von Begeisterten gegeben; und es war möglich, mediale Unterstützung zu bekommen. Sogar für Konzerte und Literaturveranstaltungen in Kaffeehäusern – oder in Teppichgeschäften. Oder für Privatabende, wie sie Friedrich Wildgans in seiner Wohnung veranstaltet hat – für vielleicht 50Gäste. Da habe ich mit dem Pianisten Hans Kann musiziert. Der wiederum hat Journalisten eingeladen, und am nächsten Tag sind fünf mehrspaltige Rezensionen erschienen! Es gab in dieser Zeit überhaupt viel mehr Platz für Konzertkritiken in den Zeitungen.“

Und es gab Enthusiasten wie den Jeunesse-Chef Jochen Lieben, der auch ungewöhnliche Aufgaben prompt zu erledigen wusste: „Wir haben zum Beispiel für bestimmte Stücke Glocken gebraucht, die uns die Staatsoper geborgt hat. Nur mussten die sperrigen Instrumente von der Oper ins Konzerthaus gebracht werden. Der Jochi Lieben hat sie mit seinem Sportwagen bei offenen Fenstern transportiert. Die Kreuzung am Schwarzenbergplatz war damals noch händisch geregelt. Ich glaube, der Polizist hat immer eine Flasche Wein bekommen, damit er den Wagen, aus dem die Metallröhren herausragten, hat passieren lassen.“

Mit Trillerpfeifen im Konzert. Das Publikum verstand das Wort Kooperation zuweilen etwas anders: „Ein Konzert mit Musik von amerikanischen Komponisten um John Cage hat einen Riesenskandal ausgelöst. Keineswegs spontan übrigens. Die Leute hatten Trillerpfeifen mitgebracht und heftig gepfiffen.“ Anders als beim legendären Skandalkonzert unter Arnold Schönbergs Leitung, 1913, musste aber immerhin nicht unterbrochen werden: „Kurt Ohnsorg, der wunderbare Keramiker, hat die Rolle übernommen, die der Schönberg-Schüler Josef Polnauer seinerzeit gespielt hat. Er hat die ärgsten Randalierer beim Kragen gepackt und bei der Tür hinausbefördert!“

Offenbar mit Erfolg. „die reihe“-Abende vermittelten dem interessierten Publikum viele Erstbegegnungen: „Edgar Varèse zum Beispiel gab es vor unserem Konzert in Wien, denke ich, überhaupt nicht“, sagt Friedrich Cerha. Und Gertraud Cerha, wie immer genaue Zuhörerin, ergänzt: „Varèse gab es auch sonst in Europa kaum – außer vielleicht in Darmstadt.“

»Alte Musik« mit neuen Mitteln. Apropos Darmstadt: Bei den legendären Ferienkursen waren die Cerhas selbstverständlich auch zu Gast. „Das war“, erinnert sich der Komponist, „vor allem ein Diskussionsforum – man hat bis in die frühen Morgenstunden debattiert.“ Wobei berüchtigterweise bei den Ferienkursen nur avancierteste Techniken erlaubt waren und alles verpönt, was an die Tradition erinnerte.

„Meine Deux Eclats habe ich dort gespielt“, sagt Cerha, „mit dem Iván Eröd zusammen. Das ist sogar überraschend gut angekommen. Nur Luigi Nono ist nachher zu mir gekommen und hat gesagt: Du bist doch ein begabter Mensch, wieso machst du mit unseren Mitteln Alte Musik?“

Gertraud Cerha kann dieses Rätsel lösen: „Er hat gemeint, dass der Fritz mit seriellen Mitteln Musik gemacht hat, die Entwicklungszusammenhänge erkennen lässt.“ – „Und das“, ergänzt der Komponist, „war damals verpönt. Man hat ja sogar Musik von Webern sozusagen punktuell aufgeführt, Note für Note. Das ist natürlich ein totales Missverständnis, aber die traditionelle Gliederung der Musik bei Webern war den Seriellen nicht willkommen. Ich aber wusste vom Schönberg-Schüler Josef Polnauer, mit dem ich die Stücke analysiert habe, dass man auf Phrasierung, auf die formale Gestaltung Wert legen muss. Die Zwölftonmethode hat er mit einem Satz abgehandelt: Töne zählen können sie selber.“

„Unlängst“, sagt der Komponist verschmitzt, „habe ich eine Aufführung von Weberns Symphonie durch das Klangforum gehört, ein Ensemble, das so sehr an Klangsinnlichkeit gewöhnt ist: Die haben den Webern als koloristische Musik dargestellt. Das war wiederum in einer gegensätzlichen Weise falsch. Das Problem ist: Dadurch, das Webern so wenig gespielt wird, gibt es keine Tradition.“

Die Visionen des Bergführers. Apropos Tradition: Sie war für den Komponisten Cerha immer wichtig, ohne dass er sich je an irgendwelche Regeln gebunden gefühlt hätte. So hört er auch seine Jugendwerke heute ohne das Bedürfnis, sie rückwirkend korrigieren zu wollen: „Die frühen Stücke“, sagt er, „haben für mich eine gewisse Frische und kommen aus einer Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, die mir irgendwo imponiert.“

„Diesbezüglich hat wahrscheinlich der Verlauf der Geschichte eine Rolle gespielt. Unter den Nazis war ich gezwungen, mich selbst zu behaupten, einer Mehrheit gegenüber Individualität zu entwickeln. Und die äußeren Verhältnisse in den Fünfzigerjahren haben diese Notwendigkeit wieder befördert. Eine wichtige Zeit war für mich der Sommer 1945. Ich bin desertiert – zu Fuß von Norddeutschland nach Tirol. Ich hatte keine Papiere und war gezwungen, in die Berge zu gehen. Das war eine Zeit der Selbstfindung und der Distanzierung. Ich habe mich als Hüttenwirt verdingt und als Bergführer im Karwendel, hab französische Offiziere auf die Wildspitze geführt. Ab November 1945 haben die Franzosen dann nicht mehr gefangen genommen. Ich hab so hinuntergeschaut in die Täler und mir ernstlich überlegt: Soll ich in diese Zivilisation, die diese Gräuel des Krieges verursacht hat, überhaupt zurückkehren? Aber die kulturelle Neugierde hat mich doch dazu bewogen zurückzukehren.“

Fruchtbare Neugierde.
Und weiter: „Diese Neugier habe ich mir bis zum heutigen Tag erhalten. Ich wundere mich über junge Kollegen, die nur in Konzerte gehen, um ihre eigenen Werke zu hören. Ich sage ja immer wieder: Mit den enorm reicheren Kommunikationsmöglichkeiten geht eine Isolation des Einzelnen einher.“

Eine Situation, die Cerha in seiner Jugend als unkreativ empfunden hätte: „Für uns waren die ständigen Zusammenkünfte wichtig. Wir haben sogar gemeinsam improvisiert. Auf diese Weise ist Musik für Filme entstanden; und einmal auch eine Schauspielmusik für Shakespeares ,Sturm‘ im Burgtheater. Die Tonbandaufzeichnung unserer Improvisation wurde aber nur bei zwei Vorstellungen gespielt. Dann hat man etwas Altes aus dem Fundus verwendet...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2011)

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