"Minna von Barnhelm": Lessing - verraten

Minna Barnhelm Lessing verraten
Minna Barnhelm Lessing verraten(c) APA/LUPI SPUMA/SCHAUSPIELHAUS GR (LUPI SPUMA/SCHAUSPIELHAUS GRAZ)
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Elmar Goerden inszenierte im Schauspielhaus Graz "Minna von Barnhelm": Kurz, aber nicht bündig – und vulgär. Das engagierte Ensemble gefiel dem Publikum.

Das Grazer Schauspielhaus zeigt seine Eingeweide: vom Gabelstapler bis zum Sicherungskasten. Hastig wird kurz vor der Premiere von Lessings „Minna von Barnhelm“ am Samstag das Bühnenbild (Silvia Merlo, Ulf Stengl) aufgebaut: gepolsterte Wände, eine „Gummizelle“, gegen sie rennen die Akteure an, im Spalt zwischen zwei Platten bleiben sie immer wieder stecken. Das Symbol ist klar: Nach dem Siebenjährigen Krieg wird die Welt neu gezimmert, sie ist schleißig, nicht besser als die alte.

Lessings „Minna“ musste sich schon allerlei gefallen lassen: Für das angeblich einzige deutsche Lustspiel sei das Werk zu trübe, hieß es. Auf welcher Seite stand der Sachse Lessing? Auf keiner, er bewunderte Friedrich den Großen, der preußische Kadavergehorsam aber war ihm unsympathisch. Vieles, was der Dichter der Aufklärung hier erzählt, hat er selbst erlebt, als Armeeschreiber, als politischer Beobachter, als Psychologe, Liebender. „Minna“ gilt heute als staubiger Schulbuch-Klassiker, seinerzeit, 1763, sorgte sie für Kontroversen: zu französisch frivol und politisch ambivalent.

Das Buffo-Paar bereitet reine Freude

In Graz inszenierte Elmar Goerden (48), der im Programmheft bekennt, dass sein „Säulen-Heiliger“ Lessing auch „ein großer Gescheiterter“ sei. Das lässt Böses ahnen, aber so böse kommt es dann doch nicht. Am stärksten irritiert, dass Goerden den Text zwar penibel erforscht hat – z.B. die Ring-Symbolik, bei „Minna“ und bei „Nathan“ in sehr ähnlicher Weise verwendet –, doch schrieb er die Poesie großräumig und auf vulgäre Weise um: Das reicht von penetrant wiederholten Verbalinjurien („Arschloch“) bis Alltags-Slang: „Besorg die Kohle“, „geh ma mal mit dem Pudel ums Haus rum“.

Goerden möchte offenkundig die Jugend gewinnen, er schmeißt sich aber allzu sehr an diese heran. Klar, Lessings „Minna“ muss man nicht ungekürzt spielen, das Werk hat seine Redundanzen, aber die Poesie sollte erhalten bleiben. Hier taucht sie zwar immer wieder auf aus einem Meer von Aktualisierungen, aber das Ganze gleicht mehr Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ als Lessing. Es besteht eben doch die Gefahr, dass Klassiker durch die vielen modernen Texte überwuchert und allzu sehr der Alltagsbanalität ausgeliefert werden. Aber keine Sorge, sie werden eine Renaissance erleben. Auch die Sprache ist ein Kunstwerk für sich. Dem Ensemble ist wenig vorzuwerfen. Die Juwelen finden sich in den Nebenrollen. Das ist leider nicht so selten, denn kaum ein Regisseur heute hat Lust, speziell den fortwährend grantigen, selbstmitleidigen und mühseligen Tellheim ernst zu nehmen, der in seinem ganzen Denken (Ehre, Gewissen, Resignation) das schiere Gegenteil des heutigen Erfolgsmenschen ist, der, unter welch widrigen Umständen auch immer, vorwärts strebt oder es zumindest behauptet: Jan Thümers Tellheim bleibt verschwommen.

Verena Lerchers Minna ist recht witzig, eine Intellektuelle mit Brille und Kurzhaar, die sich, wenn ihr Angebeteter erscheint, schnell die Langhaarperücke über den Kopf zieht. Nachhaltig brillieren allerdings Sophie Hottinger als sächselnde Dienerin Franziska und Leon Ullrich als Wachtmeister Paul Werner. Gerhard Balluchs eisiger Wirt wirkt wie ein steirischer Haubenkoch, den der Gast mit der Visa-Rechnung sitzen ließ. Stefan Suske gibt den treuen Bedienten Just, ein authentischer, derber, aber guter Kerl.

Das anfangs skeptische Publikum applaudierte dieser rasanten Aufführung mit Begeisterung und freute sich, dass es schon nach eindreiviertel Stunden entlassen wurde. Freilich, von Lessing hat es hier bloß Trümmer abbekommen: Zu viel Slapstick und Klamotte, zu wenig von der Sprachkunst und dem Sentiment des Dichters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)

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