Expertenregierung gegen Italiens Krise

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Vom Staatspräsidenten hat Berlusconi eine Gnadenfrist bekommen. Doch Napolitano favorisiert längst eine Übergangsregierung unter Mario Monti. Druck bekommt Berlusconi auch seitens Deutschland und Frankreich.

Rom. Auf sieben Hügeln steht das klassische Rom. Zurzeit aber zählt nur einer: „il Colle“, der Hügel schlechthin, der Quirinal, der Sitz des Staatspräsidenten. Die Regierung sitzt unten im Tal. In jeder Hinsicht. Und vor dem Hügel hat sie Angst. Denn vom Staatspräsidenten, von Giorgio Napolitano, hängt der Fortbestand der Regierung ab. Und wenn Napolitano sämtliche Führer der Parlamentsparteien zu „Beratungen“ auf den Hügel bittet, dann ist die Lage ernst. Dann glaubt der Staatspräsident den Versicherungen von Regierungschef Silvio Berlusconi nicht mehr, er verfüge über genügend Rückhalt im Parlament. Dann schaut sich der Staatspräsident nach einer neuen Mehrheit, nach einer schlagkräftigen Regierung um.

Genau das hat Giorgio Napolitano (86) nun zwei Tage lang getan – aufgeschreckt von der faktischen Handlungsunfähigkeit Berlusconis. Vor einer Woche unterbreitete dieser dem doppelten EU-Krisengipfel jene Pläne, mit denen er die Staatsschulden senken und die Wirtschaftskraft steigern wollte. Vor einer Woche legte Berlusconi nur Ankündigungen vor, die nicht einmal einen Kabinettsbeschluss zur Grundlage hatten. Den wollte Berlusconi beim Gipfel der G20 nun, gestern in Cannes, nachtragen. Aber wieder hat sich seine Regierung, von ein paar nebulösen Minimalbeschlüssen abgesehen, auf nichts einigen können, schon gar nicht auf die Dringlichkeitsmaßnahmen, die von der europäischen Politik mit Blick auf die drohende Ansteckung Italiens durch die griechische Krise erwartet worden sind.

Und dann hat auch noch der Staatspräsident ein Veto eingelegt. Er sperrte sich gegen ein Dekret, in dem die Regierung Berlusconi ihre alten Lieblingsthemen – zum Beispiel die praktisch mühelose Kündbarkeit von Arbeitern – so einseitig aufschreiben wollte, dass es im Parlament womöglich nicht nur an der Opposition, sondern sogar am Widerstand aus den eigenen Reihen gescheitert wäre. Damit hätte, für Napolitano, Italien nicht jenes Zeichen der Entschlusskraft und des „nationalen Zusammenhalts“ abgegeben, das er in diesen Wochen der Krise verlangt hatte und das „die Märkte“ hätte beruhigen können. Am Donnerstag stiegen erneut die Zinsen für italienische Anleihen.

Suche nach neuer Parlamentsmehrheit

In diesem Sinn versuchte Napolitano also, die Möglichkeit für eine neue, breite, solide parlamentarische Mehrheit auszuloten. Auf sofortige Neuwahlen hat er es wohl nicht abgesehen; im Gespräch ist – wieder einmal – die Bildung einer Übergangsregierung, diesmal womöglich unter Führung des international renommierten, früheren EU-Kommissars und Wirtschaftsprofessors Mario Monti. Berlusconis Partei sperrt sich gegen jedwede Veränderung: „Wir haben die Mehrheit im Parlament“, beteuert Parteisekretär Angelino Alfano, auch wenn ihm täglich weitere Abgeordnete von der Fahne gehen und Berlusconi – zuletzt in einem offenen Brief – zum Rücktritt drängen.

Die Zentristen und die Sozialdemokraten von der Opposition wiederum, die bei Napolitano aufgekreuzt sind, wollen das „Blut- und Tränen-Paket“ nur dann unterstützen, wenn Berlusconi geht und wenn sie in der auch von ihnen angestrebten Übergangsregierung mitreden dürfen: Gerade die Sozialdemokraten wollen das Sparpaket als ganzes noch einmal aufschnüren und „sozial gerecht“ neu verhandeln. Der enge Zeithorizont, den die EU gesteckt hat, bekümmert die Opposition dabei offenbar nicht; sie denkt, allein Berlusconis Abgang würde Italiens Vertrauenswürdigkeit in der Welt erheblich stärken. Sofortige Neuwahlen indes will auch die Opposition nicht: Die Durchsetzung des ungeliebten Sparpakets will sie lieber einer Übergangsregierung überlassen – von der man sich in einem späteren Wahlkampf wieder distanzieren kann.

Das Machtspiel der Opposition

Aber wie bewegt man Berlusconi zum Rücktritt? „Keine Chance. Tut der nicht“, knurrt Umberto Bossi. So kursieren also zwei andere Hypothesen: Entweder Berlusconi unterliegt bei den ersten Parlamentsbeschlüssen zum Sparpaket. Oder – genau andersherum – das Parlament bestätigt den ersten Teil der Maßnahmen, dann aber mit kräftiger Unterstützung durch Abgeordnete der Opposition. In beiden Fällen könnten Berlusconis Gegner auf den „Hügel“ ziehen und argumentieren, die Regierung habe (allein) keine Mehrheit mehr; es brauche eine neue. Und Staatschef Napolitano würde wohl liebend gerne seine Konsequenzen ziehen.

Und in der Tat: Während Berlusconi gestern zum Gipfel der G20 auf der Croisette eintraf, teilte Napolitano mit, er werde seine „Bewertungen von den nächsten Entwicklungen der Parlamentsarbeit“ abhängig machen. Das heißt: Berlusconi hat noch einmal eine Gnadenfrist bekommen. Aber wenn er bis Weihnachten durchhält, so sagen mittlerweile schon Abgeordnete seiner eigenen Partei, dann ist das viel.

Auf einen Blick

Italien muss seinen Staatshaushalt sanieren. Das hat Ministerpräsident Silvio Berlusconi auch seinen EU-Partnern versprochen. Doch nun schwächelt er bei der Umsetzung der Reformen. Staatspräsident Giorgio Napolitano räumt ihm nun noch eine letzte Galgenfrist ein, um Entschlossenheit zu beweisen. Im Hintergrund wird aber bereits eine Expertenregierung vorbereitet, die das Land aus der Krise führen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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