Bedrohte Bauwerke: Liebesentzug für Otto Wagner

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Bedrohte Bauwerke Liebesentzug fuer(c) AP (HANS PUNZ)
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Als Wegbereiter der Moderne hatte Otto Wagner sein Leben lang mit Widerstand zu kämpfen. Heute wird er zwar gefeiert, doch einige seiner Wiener Bauwerke sind akut bedroht.

Das Wort „modern“ kann man in zweierlei Hinsicht verstehen. Als Adjektiv mit Betonung auf der zweiten Silbe steht es für neuzeitlich, auf der ersten Silbe betont ist es ein Verb, das das Verfaulen beschreibt. Zuletzt war im Zusammenhang mit Otto Wagner vor allem die zweite Bedeutung aktuell: Der von ihm erbaute Hofpavillon, der dem kaiserlichen Hof Zugang zur Stadtbahn – heute fährt dort die U4 – ermöglichen sollte, ist wegen Pilzbefalls, Rost und Abnützung so gefährdet, dass er gesperrt werden musste.

Auch die U6-Station Josefstädter Straße bröckelte vor sich hin, ehe die Wiener Linien nach langem Hin und Her eine Totalsanierung starteten. Immerhin, nächsten Samstag soll die Station wieder benutzbar sein. Der Hofpavillon muss dagegen wohl noch einige Zeit vor sich hin modern, weil Wiener Linien und Stadt Wien streiten, wer für die Renovierung aufkommen muss.

Ungemach gibt es auch rund um das Otto-Wagner-Spital in Penzing. Ein geplantes Orthopädiezentrum und neue Wohnungen am Rand des Geländes sorgen für heftigen Widerstand der Anrainer – sie fürchten unter anderem um das Erscheinungsbild des „Jugendstiljuwels“ am Steinhof, an dessen Plänen Otto Wagner maßgeblich mitgewirkt hat. Nicht zuletzt auch, weil die Kirche am Steinhof mit ihrer charakteristischen goldenen Kuppel nicht nur als Wagners Meisterstück, sondern generell als eines der bedeutendsten Werke des Wiener Jugendstils gilt.


Getrübtes Verhältnis. Es scheint also ein wenig zu kriseln in der Beziehung zwischen der Stadt Wien und jenem Architekten, dessen Bauten das Stadtbild maßgeblich prägten. Neben der Kirche am Steinhof zählt das Gebäude der k.k.Postsparkasse in der Innenstadt zu Wagners bedeutendsten Werken. Im Alter von 62 Jahren hat Wagner mit der Planung begonnen. Als das Gebäude 1912 vollendet war, war der Architekt bereits 71 Jahre alt. Als Ikone der Architektur wird das Haus bezeichnet, in dem sich Wagners Lebenswerk quasi verdichtete. Und als deutlichstes Zeichen für den Einzug der Moderne in das Wien des Fin de Siècle.

Als eines der letzten Bauwerke für die Ringstraße war es in Auftrag gegeben worden. Wagner hatte sich zwar auch an Ausschreibungen für etliche andere beteiligt, doch waren ihm immer wieder andere Architekten vorgezogen worden. Ein Grund dafür mag der Geschmack des Kaisers gewesen sein. Franz Joseph I. bevorzugte den historischen Stil, mit Moderne konnte er nie viel anfangen. Zwar hatte sich Wagner als junger Architekt auch dem Historismus verpflichtet gefühlt, doch mit seiner Schrift „Moderne Architektur“ im Jahr 1896 kam die Wende.


Kampf um ein Museum. „Etwas Unpraktisches kann nicht schön sein“, war das Leitmotiv seiner künftigen Arbeit, in der er sich einer funktionsorientierten Bauweise zuwandte. Ein Zugang, der bei den Wienern vor allem für Nasenrümpfen sorgte. Und dafür, dass er bei manchem öffentlichen Auftrag nicht zum Zug kommen sollte. Der aus Wagners Sicht negative Höhepunkt war das „Kaiser Franz Josef Stadtmuseum“. Im Jahr 1900 beschloss der Wiener Gemeinderat, dieses Museum auf dem Karlsplatz zu errichten.

Mehr als zehn Jahre lang währte der Kampf, in dem Wagner zunächst gut startete, als er die vorgeschriebene „Vorkonkurrenz“ gewann. Am Ende wurde jedoch einem anderen Entwurf der Vorzug gegeben, der es zuvor gerade noch in den Bewerb geschafft hatte – ein neobarocker Entwurf Friedrich Schachners. Als Wagner-Anhänger dagegen Sturm liefen und es zu einer öffentlichen Auseinandersetzung kam, verordnete Bürgermeister Karl Lueger eine Nachdenkpause. Es folgten mehrere Überarbeitungen, Schachners Tod und 1907 schließlich doch noch der Auftrag an Wagner.

Als er jedoch 1909 einen Fassadenteil seines Entwurfs am Karlsplatz aufstellen ließ, regte sich erneut Widerstand – man sprach von der „Zerstörung Fischer von Erlachs“, jenes Architekten, der die Karlskirche Anfang des 18.Jahrhunderts entworfen hatte. Wagners Entwurf wurde schließlich an einen anderen Standort verlegt, auf die Schmelz im 15.Bezirk. Gebaut wurde er auch dort nicht. „Trösten Sie sich, mein lieber Wagner“, ließ 1910 ein Karikaturist der „Zeit“ Fischer von Erlach zu Wagner sagen, „ich habe die Karlskirche erbaut und das Wiener Stadtbild zu meiner Zeit auch so verschandelt wie Sie. In hundert Jahren gefällt's den Leuten dann ausgezeichnet.“


Scheitern der Moderne. 1988 widmete sich eine Ausstellung im Historischen Museum, dem heutigen Wien Museum, dem Kampf Wagners mit der Stadt. „Das Scheitern der Moderne in Wien“ hieß die Schau. Neben dem Stadtmuseum endeten auch viele weitere Projekte Wagners im Entwurfsstadium. So kamen etwa weder sein Plan für die Akademie der bildenden Künste, noch sein Verkehrskonzept für Wien zur Umsetzung. Sein Architektenkollege Adolf Loos schrieb zu Wagners 70.Geburtstag: „Wenn man in seinem Lebenswerke blättert, könnte man vor Wut weinen, dass diese herrlichen Gedanken nicht zur Ausführung kamen und welche Entwürfe den seinen vorgezogen wurden.“

Von einem tatsächlichen Scheitern zu sprechen, fällt letztlich aber doch schwer. Immerhin konnte Wagner doch markante Schwerpunkte im Stadtbild setzen. Das beginnt bei unzähligen Wohnhäusern, bei denen er nicht nur Architekt, sondern auch Bauherr war – und mit denen er sich eine finanzielle Basis schuf. Berühmt sind etwa seine drei Wienzeilenhäuser, die zu den beliebtesten Fotomotiven der Stadt zählen. Dazu kommen zwei Villen in der Hüttelbergstraße, die Lupusheilstätte in Ottakring, die heute zum Wilhelminenspital gehört. Und natürlich die Stadtbahnbauten entlang der heutigen Linien U4 und U6 – allen voran die Haltestelle Karlsplatz. Mehr als 30Stationen und Haltestellen wurden nach seinen Plänen realisiert.

Einige von ihnen sind noch heute allgegenwärtig im Stadtbild, so wie auch seine anderen Werke zum fixen Inventar in Kunst- und Reiseführern zählen. Längst ist unbestritten, dass Wagner die Moderne nach Wien brachte – auch wenn manche seiner Werke heute vor sich hin modern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2011)

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