Tennis: „Roger ist eben immer noch da“

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Während Djoković, Nadal und Murray am Ende einer langen Saison bei den ATP Finals in London gequält wirken, ist Roger Federer frisch und leichtfüßig. Der Schweizer trainiert weniger, ist mehr bei der Familie.

Jo-Wilfried Tsonga schaute nach dem ersten Match am Sonntag geknickt drein: „Er ist so schnell. Manchmal denkst du, du hast den Punkt, aber dann doch nicht . . . Roger ist eben immer noch da.“ Der Franzose Tsonga, der Roger Federer am ersten Spieltag der ATP Finals in London knapp in drei Sätzen unterlegen war, brachte ein Paradoxon auf den Punkt: Wer heute beim Turnier zum Saisonabschluss auf Tennis-Ergebnisse wettet, legt sein Geld zwar am konservativsten in Roger Federer an. Trotzdem musste der Schweizer von seinen Konkurrenten anscheinend an die Spitze geredet werden. Während die einen schon langsam beginnen, den Schweizer abzuschreiben, setzen andere noch große Stücke – und Geld – auf ihn.
Das erste Spiel bei den ATP Finals gab den Anhängern der zweiten Kategorie recht. Voller Leichtigkeit spielte Federer seinen Gegner im ersten Satz an die Wand, gewann mit 6:2. Den zweiten gab er zwar deutlich mit zwei Breaks gegen sich 2:6 ab, aber im entscheidenden Dritten blieb Federer überlegen, mental und technisch. Den Aufschlag von Tsonga parierte Federer meist gut. „Ich bin froh, dass ich noch so gut durchgekommen bin“, schnaufte Federer nach dem Match. Vor dem zweiten Match heute steht er damit schon mit einem Bein im Halbfinale.

Nur drei Turniersiege für Federer

Nicht immer sah es in dieser Saison danach aus, als könnte der Schweizer noch lange Zeit an der Weltspitze mitspielen. Heuer hat Federer nur drei Turniere gewonnen, das prestigeträchtigste davon war das Paris Masters vor zwei Wochen, als er Jo-Wilfried Tsonga zuletzt schlug. Zudem gewann Federer zu Jahresanfang in Doha und im Oktober daheim in Basel. Zwölf Partien verlor er diese Saison. Derzeit steht Federer auf Rang vier der Weltrangliste, hinter Andy Murray, der noch immer auf seinen ersten Grand-Slam-Sieg wartet. Seit 2003 hat Roger Federer das Jahr immer mindestens als Zweitbester der Welt abgeschlossen.
Wie gesagt: Der Rest der Tenniswelt muss einmal dort hinkommen, wo Federer nun gelandet ist. Aber für den womöglich besten Tennisspieler aller Zeiten zählen andere Maßstäbe. Die vergleichsweise schwache Saison deutete sich bei den Australian Open im Januar an, als der Schweizer „nur“ das Halbfinale erreichte. Viele erklärten schon das Ende der „Ära Federer“. Der Spieler selbst reagierte damals genervt: „Ich höre das Gleiche immer und immer wieder. Aber ich glaube an mich.“ Aber über die Saison erreichte er von den Grand Slams nur bei den French Open das Finale – und verlor gegen Rafael Nadal.
Nach dem Auftaktmatch in London diesen Sonntag ließ Federer die Saison noch einmal Revue passieren. „Ich musste eine Auszeit nehmen. Nach den US Open habe ich mich körperlich nicht mehr fit gefühlt“, erzählt er und gibt unumwunden zu: „Außerdem habe ich auch noch eine Familie.“
Dass der 30-Jährige mittlerweile viel mehr Zeit mit seinen beiden Kindern und Ehefrau Mirka verbringt, ist kein Geheimnis. Trotzdem hat Federer noch große sportliche Ziele. Eines davon möchte er in London erreichen. „Das sind die Olympischen Spiele nächstes Jahr“, so gibt Federer preis. Ein Olympiasieg als krönender Abschluss einer einzigartigen Karriere?
Vorerst geht es um die ATP Finals. Und hier in London scheint die schwache Saison für Roger Federer sogar ein Vorteil zu sein. Novak Djoković und Rafael Nadal, die beiden Ersten der Welt, klagten zuletzt über Verletzungen, Djoković brach sogar Turniere ab. Andy Murray deutete mehrmals an, er fühle sich müde.

Hoch konzentriert und leichtfüßig

Federer wirkt hingegen hoch konzentriert und leichtfüßig. Dies ist wohl auch ein Grund, warum ihn die Buchmacher vorn sehen. Zumindest am Sonntag hatte Federer auch das Publikum auf seiner Seite, das immer jubelte, sobald der Schweizer punktete. Verwunderlich ist das nicht. Als das Reputation Institute in diesem Jahr die beliebtesten Menschen der Welt ermittelte, landete der elegante und wortgewandte Roger Federer hinter dem Südafrikaner Nelson Mandela auf Platz zwei, als einziger Sportler unter den ersten 15.
Neben dem Antrieb von den Rängen hat Federer die ATP Finals ohnehin bereits fünfmal gewonnen. Ein Titel in diesem Jahr würde ihn auf der ewigen Siegerliste allein nach oben bringen, vor Pete Sampras und Ivan Lendl. Federer liegt der harte Boden der Londoner Halle, auf dem der Ball schneller abspringt. „Dieses Jahr ist er vielleicht noch etwas schneller“, freute er sich. Die verbleibenden Gegner des Schweizers in der Gruppenphase sind bereits heute Abend Rafael Nadal (knapper Sieg über Mardy Fish) und am Donnerstag der Weltranglisten-Achte Fish. Zumindest gegen Fish hat Federer eine positive Bilanz. Ein Sieg gegen ihn dürfte den Einzug ins Halbfinale sichern. Dort wartet ein Gegner aus der Gruppe von Novak Djoković, Andy Murray, David Ferrer und Tomas Berdych.
„Jeder kann hier gewinnen“, sagte Roger Federer vor einer Woche. Dass Federer selbst tatsächlich auch in diesem Jahr ein guter Kandidat dafür ist, musste Jo-Wilfried Tsonga schon anerkennen.

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