Gretschmann: Gipfelbeschlüsse „greifen zu kurz“

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Symbolbild(c) Reuters (TONY GENTILE)
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Die maßlose Verschuldung einiger Eurostaaten habe die Krise nicht allein ausgelöst, sagte der renommierte Ökonom bei einem politischen Dialog in Wien. Langfristig müsse es institutionelle Änderungen geben.

Wien. Die Beschlüsse des letztwöchigen EU-Gipfels, die Verschuldung von 26 Mitgliedstaaten drastisch einzudämmen, greifen für den renommierten Ökonomen Klaus Gretschmann in der unmittelbaren Bewältigung der Krise zu kurz. Das sagte der ehemalige Berater des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder bei einem politischen Dialog am Institut für die Wissenschaften vom Menschen, der in Kooperation mit der „Presse“ abgehalten wurde.

Die hohe staatliche Verschuldung einzelner Euroländer sei keineswegs der einzige Grund für die derzeitige Situation. Zudem könne man dieses Problem über in der Verfassung verankerte Schuldenbremsen ohnehin nicht über Nacht lösen.

Der nachholende Prozess in der Währungsunion, mehr wirtschaftliche Koordinierung festzulegen, sei zwar auf lange Sicht notwendig. Europas Politiker müssten sich in der Krisenbewältigung aber auf ein zweigleisiges Modell verständigen. Der langfristige Weg liege in der institutionellen Veränderung, so Gretschmann. Diese könne aber – unter notwendiger Einbeziehung der Bevölkerung – nur langsam vor sich gehen. In den kommenden zwei bis drei Jahren werde es nicht möglich sein, einen institutionellen Unterbau zu schaffen, der dem Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ gerecht würde. Die schnelle Veränderung, die jetzt nötig sei, betrifft hingegen die unmittelbare finanzielle Stützung. Hier sei der einzig verbleibende Weg die „EZB-Bazooka“ (Notenpresse). Die Alternative, gemeinsame Anleihen aller Euroländer, lehnt Gretschmann ab: „Eurobonds würden von den Märkten möglicherweise gar nicht angenommen.“

Eine große Gefahr für die EU sieht der Ökonom in der „Elitendämmerung“, mit der er die zunehmenden Zweifel nationaler Bevölkerungen am Krisenmanagement ihrer Politiker beschreibt. Dies sei „extrem gefährlich“, es entstehe „sozial und politisch Unmut“. Daher sollte die EU „gesellschaftliche Grundsatzdebatten“ führen, die etwa über Internetbefragungen zu wichtigen politischen Themen ablaufen könnten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2011)

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