Die Österreichische Volkspartei, die etwas gemäßigtere SPÖ

Die ÖVP inszeniert sich gern als Bollwerk gegen den Steuerstaat. Wenn es eng wird, zeigt sich aber, dass die Partei selbst nicht an die eigene Botschaft glaubt.

Dürfte sich die ÖVP aussuchen, wie sie von der Außenwelt wahrzunehmen ist, dann würde das ungefähr so aussehen: Wir hätten es mit einer Partei zu tun, die heroisch für das Ende der „roten“ Schuldenpolitik und einen ausgeglichenen Staatshaushalt kämpft, aber auch der sozialen Wärme des wohlfahrtsstaatlichen Modells einiges abgewinnen kann. Die ÖVP ist schließlich keine „kalte“ marktverliebte Technokratentruppe, sondern eine leistungsorientierte Bewegung mit menschlichem Antlitz. Vor allem aber eine unbestechliche Anwältin der Einsatzbereiten, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen, weshalb mit der Partei auch über höhere Steuern nicht zu reden ist.

Strategisch betrachtet wäre das eine Position, mit der für die in Umfragen an stabiler dritter Stelle klebende Partei vermutlich einiges zu holen sein könnte. Schließlich gibt es durchaus einen Markt für eine Partei, die mit einer überzeugenden Sanierungsstrategie in die nächste Wahl geht. Warum aber könnte? Weil das Selbstbild der ÖVP mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat – und die potenzielle Wählerschaft das auch weiß. Das beginnt schon einmal damit, dass es die „rote“ Schuldenpolitik nicht gibt. Klar, Bruno Kreisky hat die Saat für die staatliche Umverteilungspolitik auf Pump gesät – aber die ÖVP ist seit 1986 ohne Unterbrechung mit von der Partie. Also seit einem Vierteljahrhundert.

Der heutigen Führung der Partei ist auch in keiner Sekunde zuzutrauen, die Koalition aufzukündigen, sollte die SPÖ auf höheren Steuern beharren, um den staatlichen Ausgabenrausch fortführen zu können. Der Großteil des politischen Kaders der ÖVP ist nämlich davon überzeugt, dass es vernünftiger wäre, Steuern zu erhöhen, als Staatsausgaben zu kürzen. Geradezu charakteristisch für die fortschreitende Versozialdemokratisierung des bürgerlichen Lagers war eine in der Vorwoche mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble abgehaltene Pressekonferenz. Während Schäuble eine kompromisslose Rückkehr zur finanziellen Stabilität einforderte, um das Projekt Europa zu retten, sorgte sich Österreichs Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner um die Finanzierung des Staates.

Mitterlehner ist es auch, der sich für höhere Steuern erwärmen kann: 30 Prozent des Sanierungsbedarfs sollten seiner Ansicht nach auf diese Weise lukriert werden. Bevor eine einzige Ausgabenkürzung ausverhandelt ist, skizziert der Wirtschaftsminister bereits den Verhandlungsspielraum in Sachen Steuererhöhungen. Ein politisch erfahrener Mann wie Mitterlehner muss einfach wissen, dass ab diesem Zeitpunkt nur noch über höhere Einnahmen gefeilscht wird. Was derzeit ja auch passiert.

Wie flink die ÖVP ihre Grundsätze mittlerweile anpasst, zeigt ein weiteres Beispiel. Um die Grünen von der Einführung einer „Schuldenbremse“ zu überzeugen, lässt die angebliche Anwältin der Leistungsbereiten durchblicken, in Sachen Wiedereinführung der Erbschaftssteuer gesprächsbereit zu sein. Obwohl vor Kurzem noch die Parole ausgegeben wurde, dass mit der Volkspartei eines definitiv nicht zu machen sei: eine Besteuerung der Substanz, was der Zugriff auf ererbtes Vermögen zweifellos wäre.


Dazu passt, dass der Durchbruch in Sachen „Schuldenbremse“ mit den Grünen versucht wird, nicht mit dem BZÖ. Das ist insofern überraschend, als die schrullige Minipartei im Gegensatz zu den Grünen deutlich „bürgerlichere“ Forderungen stellt, etwa die Festlegung einer Obergrenze für die Steuer- und Abgabenquote. Das wiederum ist einer jener Punkte, die zwar im bürgerlichen Lager Applaus fänden, nicht aber im Funktionärskader der Partei. Die ÖVP von heute hält es schlichtweg für falsch, den Zugriff des Staates auf die Taschen der Bürger zu begrenzen.

Das alles offenbart, wie weit sich die Partei im Laufe ihrer 25-jährigen Regierungstätigkeit von der Lebensrealität jener Wähler entfernt hat, für die sie da zu sein vorgibt: die Nettozahler des Systems. Möglicherweise ist das ja auch eine Gruppe, mit der aus Sicht der Parteiführung keine Wahlen zu gewinnen sind. In diesem Fall wäre es freilich nur fair, das dieser Wählerschicht auch offen zu sagen. Statt ihr nach dem Mund zu reden, um im Umdrehen die nächste Steuererhöhung abzusegnen und das auch noch als Akt der Staatsräson zu verkaufen.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2011)

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