Schauspielhaus Graz: Don Carlos wird nicht Bürochef

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Ingo Berk hobelt von Schillers dramatischem Gedicht die Ecken und Kanten ab. Seine Inszenierung psychologisiert, sie wirkt dadurch brav und statisch.

Von Aranjuez, dem sommerlichen Erholungsort spanischer Könige, sieht man in der Inszenierung von Ingo Berk zu Beginn von Friedrich Schillers Drama „Don Carlos“ nur eine Vorhalle wie von einem alten Kurhotel. Ein schwerer grüner Vorhang deckt den Großteil der Bühne des Grazer Schauspielhauses ab. Der Titelheld (Claudius Körber) eilt herbei und legt sich verzweifelt auf eine Holzbank. Die schönen Tage sind für den Kronprinzen zu Ende.

Schon folgt Domingo (Franz Solar), der Beichtvater des Königs, um Carlos auszuhorchen. Der gedemütigte Thronfolger sucht eine Aufgabe. Sein Vater, Philipp II., aber, der ihm die Braut weggenommen hat, vertraut ihm nicht. Carlos liebt die Königin noch immer. Spitzel Domingo soll herausfinden, was wirklich läuft. Filigran, mit Anzeichen von Wahn, spielt Körber diesen Jüngling – ein hübsch sensibler Prinz vor platter Geistlichkeit.

Der Pater hat einen weißen Frotteebademantel an, als ob er eben aus der Sauna komme. Solcher Zeitgeist müsste nicht stören, doch die Arbeit von Berk, die am Samstag Premiere hatte, lässt Schärfe vermissen, vielen Rollen fehlen die Konturen. Die Haupt- und Staatsaktion ist zu brav geraten, wirkt statisch. Daran ändern auch Zwischenszenen mit der Drehbühne nichts, in denen für Momente die Einzelschicksale nachdenklicher Menschen in gediegenem Mobiliar am Betrachter vorbeigleiten (Bühne: Damian Hitz), während die Musik (Patrick Zeller) leicht bedrohlich klingt. Es wird versucht, dieses komplexe Königsdrama von 1787, in dem sich Privates und Politisches zur Tragödie mischen, zu psychologisieren.

Misslungene Übernahme: Posa vs. Philipp

Die Darsteller sind ziemlich gewöhnlich gekleidet, selbst für Kleinunternehmer von heute. Sie versuchen auch zu verbergen, dass bei Schiller der Blankvers regiert. Das Pathos des Moralisten wird entsorgt. So vernimmt man zwar noch den Schrei nach Freiheit wie im Selbstzweifel, doch das ist ein ferner Klang, selbst wenn Leon Ullrich als Marquis von Posa das Charisma eines Revolutionärs andeutet. Mit tapferer Verteidigung der Menschenrechte imponiert Posa sogar dem König, um dann doch Freund Carlos, die nette Königin (Birgit Stöger) und sich selbst ins Verderben zu stürzen, weil die Gegenseite die wirksameren Intrigen hat. Dem skrupellosen Herzog von Alba (Stefan Suske) nimmt man die unbedingte Härte eines Machtmenschen ab. Er müsste nicht einmal die Pistole zücken, seine schneidende Stimme reicht. Auch die arme Prinzessin Eboli, Briefdiebin aus Leidenschaft, wird von Sophie Hottinger kunstvoll und mit Herz gespielt. Alba und Eboli sind in dieser Aufführung die Stärken, als Gegenseite zu verhinderten Freiheitshelden für die Niederlande und zu verhinderten Liebenden. Das Böse aber wird ansonsten klar unterspielt.

Der Großinquisitor (Otto David) ist eher entrückt als mörderisch katholisch. Philipp (Gerhard Balluch), dieser monströse Bürokrat unter den spanischen Habsburgern, der über ein Weltreich herrscht, ist viel zu stark aufs Alltägliche reduziert. Hier sitzt er im dunkel getäfelten Büro am Schreibtisch und brütet, als ob er unangenehme Probleme mit den Bilanzen hätte. Zum erfolgreichen CEO fehlt ihm Testosteron, zum König die Grandezza. Links an der Wand hängt anachronistisch ein Ungeheuer von Goya, viel passender scheint jedoch der Bonsai hinter dem Schreibtisch zu sein, der am Schluss auf dem Boden liegt: ein bisschen klein geraten für die Welt- und Familiengeschichte des 16. Jahrhunderts, die zugleich Prospekt für Revolutionäres von 1789 war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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