Türkei: Der widerwillige Nutznießer der Irak-Invasion

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Vom Wegfall des Handelsembargos profitierte Ankara in großem Stil. Vor allem durch sichere Einnahmen aus dem Transfer von irakischem Öl. Die Kurdenautonomie bereitet hingegen Angst.

Istanbul. Als Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 gestürzt wurde, zählte die Türkei zu den großen Gewinnern. Für Ankara bedeutete das Ende des Saddam-Regimes vor allem auch ein Ende des Irak-Embargos, das die türkische Wirtschaft mehr als dreizehn Jahre lang behindert hatte.

Die Türkei hatte nun wieder sichere Einnahmen aus dem Transfer von irakischem Öl durch die Pipeline Kirkuk-Çeyhan ans Mittelmeer. Außerdem florierte der Export. Der Irak ist mittlerweile nach Deutschland der zweitgrößte Abnehmer für türkische Waren, außerdem gehen türkische Waren längst wieder über den Irak in die Golfregion. Ein großer Teil des raschen türkischen Wirtschaftswachstums seit 2003 ist eine Folge des politischen Wandels in der Region.

Trotzdem war man in der Türkei über den Krieg nicht begeistert. Der damalige Premier Bülent Ecevit schrieb Saddam Hussein einen Brief, um ihn zum Einlenken zu bewegen und so einen Krieg zu verhindern. Das türkische Parlament stimmte dann überraschend gegen die Vorlage der eigenen Regierung und untersagte den USA einen Landangriff von türkischem Boden aus. Dies trug zu dem Mangel an Infanterieeinheiten bei, der es den USA erschwerte, das Land nach dem Sieg effektiv zu kontrollieren.

Die türkische Zurückhaltung resultierte vor allem auch aus der Furcht, der Sturz Saddams werde zu einem unabhängigen Kurdistan im Norden des Irak führen. Ein Vorbild für die eigenen Kurden im Südosten des Landes, denen Ankara auch nur den Hauch von Autonomie verweigerte.

Erst sabotieren, dann kooperieren

Als dann nach dem Sturz Saddams tatsächlich eine von Bagdad de facto so gut wie unabhängige, autonome Region Kurdistan entstand, hatte die Türkei zwei Optionen: Die erste Option war, diese Entwicklung zu sabotieren, gegen den Willen der USA, und schließlich auch gegen deren Widerstand. Der manifestierte sich, als die USA begannen, türkische Waffenlieferungen an turkmenische Verbündete zu stoppen, und schließlich US-Soldaten im Irak eine Gruppe türkischer Offiziere unter Sabotageverdacht festnahmen. Die „entehrende“ Behandlung der Festgenommenen wurde in der Türkei heftig kritisiert und ist bis heute nicht vergessen.

Nach einigem Zögern wählte die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan schließlich doch noch die zweite Option und versuchte, gute Beziehungen aufzubauen, die die Autonomie der kurdischen Region sogar stärkten. In der kleinen, aber ölreichen Region bauten türkische Unternehmer Flughäfen, eröffneten Kaufhäuser und bohrten nach Erdöl.

Politisch zahlte sich das nur bedingt aus. Die Autonomieregierung unter Masud Barzani ging nicht gegen die schon länger bestehenden Stützpunkte der kurdischen Untergrundorganisation PKK vor, die nach Unterbrechungen vom Irak aus wieder den Kampf auf türkischem Boden eröffnete. Dies führt bis heute zu Gegenschlägen der türkischen Luftwaffe bis tief in den Irak hinein.

35 Tote bei türkischem Luftangriff

Bei einem solchen Luftschlag gegen eine vermeintliche PKK-Gruppe im Südosten der Türkei starben in der Nacht auf Donnerstag nach Angaben eines türkischen Gouverneurs bis zu 35 Menschen.

Die Armee rechtfertigte sich mit der Behauptung, in dem Gebiet gebe es keine Zivilisten, sondern nur PKK-Kämpfer. Es dürfte sich indes um Jugendliche aus einem grenznahen Dorf gehandelt haben, die auf Maultieren Diesel in die Türkei schmuggelten. Schmuggel ist in der Region, in der es wenig andere Einkommensquellen gibt, ein traditionelles Geschäft. Der Vorfall dürfte die Spannungen in den Kurdengebieten der Türkei weiter anheizen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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