Fragen und Antworten zur Reform: So funktioniert die Neue Mittelschule

(c) Clemens Fabry
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Bis Herbst 2018 soll die NMS alle Hauptschulen ersetzen. Was eigentlich der Unterschied zur Hauptschule ist, was gelernt wird und wie es mit dem Übertritt in die AHS aussieht. Die wichtigsten Fragen - und Antworten.

Wien. Sie ist beschlossene Sache, aber heftig umstritten: Die flächendeckende Einführung der Neuen Mittelschule (NMS). Während das Unterrichtsministerium den neuen Schultyp als großen Wurf feiert, vermissen Kritiker der Neuen Mittelschule eine echte Schulreform. Wieder andere befürchten in der NMS den ersten Schritt zur Abschaffung des Gymnasiums. Inhaltliche Fragen gehen in der Debatte häufig unter. Die wichtigsten Neuerungen und Kritikpunkte.

1. Was ist der Unterschied zwischen NMS und Hauptschule?

Kritiker bemängeln, dass sich die Schaffung des neuen Schultyps im „Austausch von Türschildern“ erschöpfe. In der Tat ist der größte Unterschied zur Hauptschule die innere Differenzierung des Unterrichts, für die vom Unterrichtsministerium pro Woche und Klasse sechs zusätzliche Lehrerarbeitsstunden finanziert werden.

2. Was kann man sich unter innerer Differenzierung vorstellen?

Die konkrete Umsetzung bleibt den Schulen überlassen. Wie die zusätzlichen Stunden eingesetzt werden, entscheiden Direktor und Klassenlehrer; möglich sind etwa die (zeitlich begrenzte) Bildung von Lerngruppen oder sogenanntes Team Teaching, bei dem dem Fachlehrer ein zweiter Lehrer zur Seite gestellt wird. Die verstärkte Förderung muss jedenfalls – anders als im Schulversuch vorgeschrieben – in den Fächern Deutsch, Mathematik und der ersten lebenden Fremdsprache (meist Englisch) passieren.

3. Wie viele zusätzliche Lehrer braucht es dafür?

Das Unterrichtsministerium wirbt damit, durch die Neue Mittelschule rund 4000 neue Arbeitsplätze zu schaffen – und dürfte darauf hoffen, dass es auch genügend verfügbare Lehrer geben wird. Denn: Die Lehramtsstudien an den Pädagogischen Hochschulen und den Unis boomen zwar, zugleich geht in den kommenden 15 Jahren aber die Hälfte der heimischen Pädagogen in den Ruhestand.

4. Kommen dann auch AHS-Lehrer an die Neue Mittelschule?

Nicht zwingend – für Kritiker ein Schwachpunkt. Während für den Schulversuch Voraussetzung war, Lehrer höherer Schulen für sechs Wochenstunden pro Klasse an die Neue Mittelschule zu holen, sind solche Kooperationen künftig nicht mehr verpflichtend. Zwar sind AHS- oder BHS-Lehrer an Neuen Mittelschulen willkommen, Kritiker sind aber überzeugt, dass ohne Verpflichtung kaum jemand diese Möglichkeit wahrnimmt. Laut Ministerium sollen im neuen Lehrerdienstrecht Anreize für den Wechsel an NMS verankert werden. Wie diese konkret aussehen sollen, ist noch unklar – die Dienstrechtsverhandlungen dauern an.

5. Entspricht der Lehrplan an der NMS dem der Gymnasien?

Jein. In den letzten beiden Unterstufenklassen wird in Deutsch, Mathematik und Englisch zwischen „grundlegender allgemeiner Bildung“ und „vertiefter allgemeiner Bildung“ differenziert. Zweitere soll dem Niveau der AHS entsprechen.

6. Sind das dann Leistungsgruppen wie bisher in der Hauptschule?

Nein, nicht im herkömmlichen Sinn der Hauptschule. Der Unterricht ist für alle Schüler gleich, abgesehen von der möglichen temporären Einteilung in Lerngruppen. Kritiker befürchten, dass diese dauerhaft werden könnten. Die Idee wäre eine andere: Differenziert werden soll lediglich bei der Beurteilung. In der siebten und achten Schulstufe wird im Zeugnis ausgewiesen, ob ein Schüler in Deutsch, Mathematik und Englisch die „grundlegenden“ oder die „vertieften“ Bildungsziele erreicht hat.

7. Wie funktioniert diese differenzierte Benotung konkret?

Schüler sollen nicht erst zum Semester (wie in Leistungsgruppen), sondern flexibel während des Schuljahrs auf- und absteigen können. Die Schularbeitsnote Gut im grundlegenden Beurteilungsschema entspricht etwa einem Genügend im vertieften Niveau, ein Nicht genügend im vertiefenden Schema einem Befriedigend im grundlegenden. Sofern es möglich ist, sollen Schüler nach dem höheren Niveau benotet werden. Zusätzlich zum Zeugnis erhalten sie eine ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibung, die individuelle Begabungen enthalten soll.

8. Haben Schüler dann einen Hauptschul- oder einen AHS-Abschluss?

Weder noch: Es gibt ein eigenes Zeugnis der Neuen Mittelschule. Darin sind auch die Berechtigungen zum Besuch weiterführender Schulen klar ausgewiesen.

9. Wie sieht es mit dem Übertritt in die AHS-Oberstufe aus?

Wer in allen drei Hauptfächern die „Vertiefung“ erreicht, ist zum Übertritt in die AHS-Oberstufe berechtigt, mit einem Ja der Klassenlehrerkonferenz können Schüler auch übertreten, wenn sie in einem der Fächer nur das „grundlegende“ Bildungsziel erreichen. Bei einem schlechteren Zeugnis besteht (wie bisher) die Möglichkeit einer Aufnahmsprüfung. Kritiker sind skeptisch: Mit einem „grundlegenden“ Zeugnis hätten Schüler weniger Chancen auf den AHS-Übertritt als Hauptschüler der zweiten Leistungsgruppe, so etwa die Grünen.

10. Bis wann soll die Reform umgesetzt werden?

Bis zum Schuljahr 2018/19 sollen alle Hauptschulen umgewandelt werden. Dafür gibt es einen Stufenplan. Im kommenden Schuljahr etwa werden 264 Standorte umgestellt. Insgesamt sind 1200 Schulen mit 220.000 Schülern betroffen.

11. Sollen auch AHS-Unterstufen Neue Mittelschulen werden?

Die AHS-Unterstufe bleibt erhalten. AHS seien aber eingeladen teilzunehmen, heißt es. Das waren sie auch im Schulversuch, das Interesse hielt sich aber in Grenzen: Von den insgesamt 434 NMS in Österreich sind nur elf ehemalige AHS.

12. Wie soll es nach Einführung der NMS weitergehen?

Innerhalb der Koalition herrscht alles andere als Einigkeit: Während SPÖ-Ministerin Claudia Schmied die NMS bloß als Zwischenschritt zur „Ganztägigen gemeinsamen Schule“ (GGS) sieht, ist für die ÖVP klar: Das Gymnasium bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2012)

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