Komarek: "Ich bin ein grau gewordenes Riesenkind"

Komarek grau gewordenes Riesenkind
Komarek grau gewordenes Riesenkind(c) APA
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Müsste man heute einen typischen österreichischen Schriftsteller nennen, fiele einem vielleicht Alfred Komarek ein. Ein Gespräch über den Mut zur Stille, die Streitlust im Alter und die tiefere Seite von Donald Duck.

Ihre Bücher, vor allem die Polt-Romane, sind voller leiser Töne. Mögen Sie es persönlich auch ruhig?

Alfred Komarek: Ich finde Ruhe sehr wichtig, allerdings in der Abwechslung. Das langsame Tempo macht keine Freude, wenn es nicht zwischendurch ein Stakkato gibt. Daher leiste ich mir luxuriöserweise auch drei Wohnsitze. Hier in Wien habe ich ein eher arbeitsames Tempo, im Weinviertel rolle ich dann aus und werde ruhig. Zu Silvester etwa sitze ich ab zwölf allein im Weinkeller, um das Jahr in aller Stille ausklingen zu lassen. Seit ein paar Jahren wohne ich auch im inzwischen verwaisten Elternhaus in Bad Aussee. Dort gibt es wieder ein anderes Tempo.


Wie unterscheidet sich das Tempo in Bad Aussee vom Pulkautal?

Das Pulkautal ist, wie man beim Polt merkt, eine extrem gelassene Landschaft, in der immer noch die Landwirtschaft den Rhythmus vorgibt. Das Salzkammergut ist derzeit eine vom Fremdenverkehr geprägte Kultur. Auch die Ausseer sind anders. Im Weinviertel hat oft das Schweigen mehr zu sagen als das bissl, was geredet wird. In Aussee hat man durch die Abgeschlossenheit gelernt, sich gegenseitig zu unterhalten. Die Daniel-Käfer-Romane haben einen viel strafferen Wortrhythmus und eine abwechslungsreichere Satzmelodie als die Polt-Romane. Ich bin ja ziemlich sprachverliebt und versuche, einer Region auch von der Sprachmelodie her gerecht zu werden.


Sie haben eine „Anstiftung zum Innehalten“ geschrieben. Glauben Sie, dass viele Menschen gerne innehalten würden, sich aber nicht trauen oder es nicht können?

Über den Titel habe ich lange nachgedacht. Daher auch die liederliche Anstiftung und das biedere Innehalten. Ich wollte das Maß von den eigenen Schuhen nehmen, daher ist das Buch ziemlich autobiografisch. Ich habe in viele Bereiche reingerochen, habe viele Freunde und Bekannte, die sich parallel zu mir entwickelt haben und dann wieder auseinander, aufgenommen. Dabei habe ich festgestellt, dass die Leute, die mich mit 40, neben ihrer Kübelpalme sitzend, leise belächelt haben, jetzt „freigestellt“ sind und meine Bücher lesen müssen.


Sie fühlen sich in Grenzgebieten offenbar wohl. Hat Ihre Familie tschechische Wurzeln?

Die väterliche Seite. Der mütterliche Teil kommt aus Ungarn. Aber die Mutter war schon eine gebürtige Ausseerin, der Vater ist als Junglehrer irgendwann in Aussee gelandet.


Waren Sie gerne Kind?

Ich bin ja noch immer ein Kind. Ich bin ein grau gewordenes Riesenkind. Als ich in mein Jugendzimmer in Aussee zurückkam, habe ich mir gedacht: „Es hat sich nichts geändert. Ich bin um nichts gescheiter geworden, um nix vernünftiger.“ Ich habe meine vielen schlechten und meine wenigen guten Eigenschaften behalten.


Doch ziemlich viele gute. Sie gelten als einer der „stillen G'scheiten“ in Österreich.

„Unauffälliger“ ist vielleicht der richtigere Ausdruck. Ich bin so gut wie nicht vorhanden. Ich gehöre nirgends dazu, es gibt keine Seilschaft. Vor einigen Jahren war ein oberösterreichischer Journalist bei mir. Der hat entgeistert gesagt: „Sie gibt's also wirklich! Es geht das Gerücht um, dass Sie ein Pseudonym von Helmut Gansterer seien.“


Stört die Wirtschaftskrise Ihr gelassenes Lebenstempo? Panik ist ja da nicht so gut.

Ich habe mich auch bei ganz komischen Reaktionen ertappt. Ich habe selbst Marmelade eingekocht, weil sie mir im Geschäft zu teuer vorkam. Ich habe mich aber schnell beruhigt und zu einer heiteren Gelassenheit gefunden. Immerhin habe ich einen großen Garten und kann dort Radieschen anbauen. Ich bin an und für sich ein Optimist und sehe auch Gründe zur Beruhigung. Wenn man es mit der Situation in den 1930er-Jahren vergleicht, da hieß es „Jeder gegen jeden“. Einer der Vorteile der Globalisierung ist, dass alle Beteiligten wissen: Wenn's passiert, stolpert nicht einer, es stolpern alle.


Vor Kurzem haben Sie sich öffentlich geärgert, als Sie den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels bekamen. Sie haben sich beschwert, dass Toleranz ein Lebensmittel ist, mit dem schändlich umgegangen wird. Sind Sie ein Wutbürger?


Sobald etwas ein Etikett bekommt, pervertiert es. Genauso wird jeder, der intellektuell etwas auf sich hält, sich irgendwann als Wutbürger bezeichnen, und dann ist das an sich Schöne des Sich-Aufregens schematisiert. Mir sind Dinge lieber, die sich nicht mit Schlagwörtern verbinden. Ich selbst leiste mir schon, je älter ich werde, immer mehr, mich wirklich aufzuregen. Und zwar auch in Dingen, die mir schaden.


Was hat das mit dem Älterwerden zu tun?

Im Alter ist die Ich-AG nicht mehr so attraktiv. Ich rede mir das Alter nicht schön, das hat auch recht grausliche Aspekte. Aber das Positive ist, dass man um sich selbst keine Angst mehr zu haben braucht und es sich leisten kann, sich zu exponieren. Das macht das Leben auch schöner.


Sie sind ja recht vielschichtig. Sie sind zum Beispiel sehr exakt, wenn es um Sprache geht, und gleichzeitig bekennender Donaldist. Wie passt das zusammen?

Hervorragend. Die Übersetzerin der guten Donald-Duck-Geschichten war Altphilologin und eine wirklich gescheite Frau. Sie hat Sprechblaseninhalte von bleibendem Wert geschaffen. Meine Lieblingssprechblase ist ein Panzerknacker, der sagt: „Dagobert ist uns geistig überlegen, das ist eine sozialpolitische Ungerechtigkeit.“ Das ist bestimmt nicht flach.


Ihre Wohnung ist voller antiker mechanischer Apparate. Mögen Sie Technik?

Alles Technische, das noch zu begreifen ist. Deshalb liegen und stehen so viele Uhren bei mir herum. Ich werde mit meinen Uhren gemeinsam schäbig, wir gehen alle ein bisschen langsamer und ungenauer.


Weinkeller, Marmelade, Ruhe: Sind Sie ein Landmensch?

Ja, und so ist auch mein Umgang mit Wien. Ich bin jetzt seit 40 Jahren in Wien und bin noch immer nicht zum Wiener geworden. Ich mag mein Grätzel, und ich mag Wien, als Fremder. Ich gehe durch Wien wie ein Besucher. Dennoch hat Wien noch einiges an Identität bewahrt, was andere Großstädte nicht mehr haben.


Aber es verändert sich schon viel. Der berühmte Wiener Grant wird immer weniger.

Der verschwindet. Weil der Mittelstand ausstirbt, der ihn gepflegt hat. Die Träger der Wiener Kultur waren die kleinen Handwerksbetriebe, wo auch die Bezirksmundart gesprochen wurde. Das waren die freundlichen Grantigen.


Die Polt-Krimis waren ja unter den ersten Krimis, bei denen die Region mehr war als nur Hintergrund. Haben Sie sie bewusst als Regionalkrimis angelegt?

Nein. Ich wollte gar keinen Krimi schreiben. Ich wollte überhaupt keinen Roman schreiben, weil ich Zeit meines Lebens kleine Form gemacht habe. Ich mag aber Regionen, in denen der Dialog zwischen Menschen und ihrem Lebensraum noch intakt ist.


Was halten Sie von der derzeitigen Welle der Regionalkrimis?

Es ist ein Ausweg aus der Sackgasse, in der der Krimi steckt. Ein Weg ging zur Vertiefung, hin zum Roman. So kamen etwa die Psychokrimis und die Regionalkrimis. Gut sind die Krimis mit dem Motto: Wenn etwas passiert, lernt man die Leute kennen. Das hat mich gereizt an einer Gegend wie dem Weinviertel, wo sehr ruhig gelebt wird, auch zwischen Todfeinden. Die reden dann halt nix mehr miteinander.


Lesen Sie eigene alte Sachen?

Ja, immer wieder. Mit sehr alten Texten von mir kann ich durchaus leben, weil sie den neuen nicht so unähnlich sind. Mit einem großen Unterschied. Damals war ich bedenkenlos bis hemmungslos. Ich bin gegen jede Wand gerannt, auch wenn daneben eine offene Tür war. Dazu habe ich heute nicht mehr die Kraft, die Unmittelbarkeit, dafür habe ich eine größer gewordene Werkzeugkiste. Manche Sachen bringe ich aber einfach nicht mehr zusammen.


Welche?

Emotionell sehr unmittelbare, auch solche, die beim Schreiben wirklich wehtun. Heute neige ich dazu, dass ich ausweiche. Ich weiß auch nicht, wie ich selbst darauf reagiere, ob ich es aushalte oder nicht. Das war mir damals egal. Ich habe nicht nur ohne Netz, sondern auch ohne Seil getanzt. Heute habe ich wenigstens ein Netz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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