„Armee könnte gegen ihre Chefs putschen“

Interview. Der Experte für Ägyptens Streitkräfte, Robert Springborg, glaubt, dass das Offizierskorps versucht, die unpopulären Männer an der Militärspitze loszuwerden.

Die Presse: Beim Aufstand vor einem Jahr jubelten die Ägypter noch dem Militär zu. Mittlerweile scheint die Armeeführung ähnlich verhasst wie zuvor Machthaber Hosni Mubarak. Was hat sie falsch gemacht?

Robert Springborg: Die Strategie der Streitkräfte war von Anfang an klar: Sie wollten sicherstellen, dass ihre Macht nicht beschnitten wird. Und nicht alle Ägypter haben das zu Beginn infrage gestellt. Aber die Taktik der Armeeführung bei der Umsetzung dieses Ziels war schlecht. Die Männer rund um den Chef des Militärrates, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, sind alt. Sie sind gewohnt zu kommandieren und haben sich nie in der politischen Arena zurechtfinden müssen. Dazu kommt, dass sie ebenfalls in die Machenschaften des Regimes verstrickt waren. Einerseits müssen sie so tun, als würden sie die revolutionären Veränderungen unterstützen; andererseits sind diese nicht in ihrem Interesse.

Die Demonstranten in den Straßen fordern, dass der Militärrat die Macht rasch abgibt. Nur die islamistische Muslimbruderschaft, die die Parlamentswahl gewonnen hat, mahnt zur Geduld. Was bedeutet das für das Militär?

Die Armeeführung ist immer mehr auf die Unterstützung der Muslimbrüder angewiesen. Das macht einige im Militär sehr nervös. Zudem gibt es in Ägypten keine Führerfigur. Und ich denke, es müsste viele Offiziere in mittleren Rängen geben, die sich in dieser Rolle sehen. Deshalb stellt sich für mich die Frage: Wird es einen Coup der Streitkräfte gegen ihren Chef Tantawi und den Militärrat geben?

Sie meinen, es könnte einen Putsch innerhalb des Militärs geben, bei dem das Offizierskorps versucht, die unpopulären alten Männer an ihrer Spitze loszuwerden?

Ja. Wenn ich das kühnste Szenario zeichne, würde ich sagen: Die Streitkräfte könnten gegen ihre Chefs putschen, um sich zu retten. Es würde mich nicht überraschen, wenn es zu einem solchen Versuch kommt. Die neuen Führer im Militär würden dann auch gegen Männer des alten Regimes in Streitkräften und Innenministerium vorgehen und sich damit in der Bevölkerung sehr beliebt machen.

War Mubaraks Sturz vor einem Jahr eine Revolution oder ein Militärcoup?

Es war eine Coupvolution. Das Militär hat interveniert, um die Revolution zu stoppen.

Welche Rolle spielten dabei die USA? Washington stand in den letzten Tagen der Herrschaft Mubaraks in engem Kontakt zu Ägyptens Militärführung.

Nach Beginn der Massenproteste in Ägypten haben die USA klar gesagt, dass Mubarak gehen muss. Und sie haben mit Feldmarschall Tantawi zusammengearbeitet, obwohl sie ihn nicht mögen. Haben die USA den Vorschlag gemacht, dass Ägyptens Militär Mubarak absetzen soll? Nein, ich denke nicht. Ich denke, es war umgekehrt. Die Führung der ägyptischen Streitkräfte hat diese Entscheidung getroffen und sich dann dafür in Washington grünes Licht geholt. Mubarak ist für die Militärführung zu einem Mühlstein geworden. Ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen waren in Gefahr.

Aber wie stark ist der Einfluss Washingtons auf die Militärführung?

Der ist nicht so groß, wie behauptet wird. Tantawi und seine Leute haben zwar die US-Militärhilfe abgesahnt. Sie hatten aber immer Angst davor, dass die USA zu engen Kontakt zu ägyptischen Offizieren aufbauen, und dass damit ein professionellerer Geist in den Streitkräften Einzug hält. Derzeit haben die USA sehr wenig Einfluss auf das, was in Ägypten geschieht. In Washington geht die Angst um, dafür verantwortlich gemacht zu werden, Ägypten verloren zu haben – so wie man damals den Iran verloren hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Die sabotierte Revolution

Ein Jahr nach Mubaraks Sturz haben die Ägypter noch keine freie Gesellschaft erreicht.
Außenpolitik

Prozess gegen „Pharao“ im Endspurt

Gerichtsverfahren. Noch im Februar wird das Urteil gegen Expräsident Hosni Mubarak erwartet. Aus Angst vor Lynchjustiz wird er demnächst ins Thora-Gefängnis verlegt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.