Syrien: „Ich bin um 20 Jahre gealtert“

(c) KARIM EL-GAWHARY
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Die junge syrische Studentin Hadil Kouki zog aus, um ihr Land zu verändern, und musste vor den Schergen von Bashar al-Assad in ein christliches Kloster nach Ägypten flüchten.

Kairo. Auch wenn sie es zu kaschieren versucht, unter ihrem Make-up sind die schillernden Farben des Blutergusses am Auge noch zu erkennen. Das war der Grund, warum die syrische Studentin Hadil Kouki das Gespräch in Kairo mehrere Tage hinausgezögert hatte. Die Aktivistin wollte nicht mit einem entstellten Gesicht erscheinen. Vereinbart wurde das Ganze durch einen Mittelsmann, Hadils Adresse bleibt ein Geheimnis. Nur so viel: Die christliche Syrerin lebt jetzt in einem Kloster in Ägypten – zu ihrer Sicherheit.

Denn was Hadil vor einer Woche passiert ist, zeigt, dass der lange Arm von Bashar al-Assad auch bis in die arabischen Nachbarstaaten reicht. Vor drei Monaten musste die junge Frau aus Aleppo fliehen und dachte, in Kairo sicher zu sein. Das war bis letzte Woche, als drei Männer um vier Uhr morgens ihre Wohnung stürmten. Einer hielt der 20-Jährigen den Mund zu, die anderen prügelten auf sie ein. „Sie haben gesagt, das sei nur der Anfang“, erzählt Hadil. „Ich hatte zwar Drohungen erhalten, dass man mich töten oder mir Säure ins Gesicht schütten wolle, aber die habe ich nicht ernst genommen.“

Demos und Schmuggel

Sie wirkt sympathisch, wenngleich für ihr Alter etwas zu ernst. Das liegt wahrscheinlich an ihrer Geschichte: „Seit dem Aufstand bin ich um zwanzig Jahre gealtert.“ Angefangen hat es Anfang 2011. „Wir haben die Revolutionen und Tunesien und Ägypten gesehen und haben uns gesagt, auch bei uns muss etwas geschehen. Dann haben wir begonnen, an der Universität in Aleppo etwas zu unternehmen“, erinnert sie sich. Zusammen mit Studienkollegen tat sie das bis dahin Undenkbare, verschickte Erklärungen gegen das Regime über das Internet und organisierte Demos. Später schmuggelte sie Medikamente von der türkischen Grenze nach Homs und Hama.

Die Antwort des Regimes blieb nicht aus. Wegen ihrer Aktivitäten wurde Hadil dreimal verhaftet, das erste Mal im März von den Sicherheitsbehörden des Militärs. 40 Tage wurde sie damals weggesperrt. „Im Gefängnis war es hart, wir wurden gedemütigt und auch gelegentlich geschlagen.“ Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Denn als sie dann noch zweimal verhaftet wurde, waren die Aufenthalte zwar kürzer, dafür aber viel brutaler. Sie wurde mit Elektroschocks gefoltert. Als Hadil entlassen wurde, machte sie trotzdem weiter.

Anders als ihre Aktivitäten an der Uni lief der Medikamentenschmuggel im Geheimen ab. Aber schließlich wurde einer ihrer Freunde verhaftet. Die Angst, dass er unter Folter die ganze Gruppe verraten würde, war zu groß. Hadil ging in einer Nacht- und Nebelaktion über die Grenze, über den Libanon flüchtete sie nach Ägypten.

Frauen an vorderster Front

Frauen spielen bei dem Aufstand gegen Syriens Regime eine wichtige Rolle. Sie demonstrieren, organisieren Hilfslieferungen für die Aufständischen, verstecken sie. Frauen wie die Aktivistin Suhair Attasi gehören zu den führenden Persönlichkeiten des Aufstandes, genauso wie die Damaszener Anwältin Razan Zeitouneh. Letztere sei ihr Vorbild, erzählt Hadil. Sie habe nie Angst gezeigt, habe offen geredet und sei im Land geblieben.

Die Regimepropaganda versuche zu vermitteln, dass es sich bei den Aufständischen um bewaffnete islamistische Extremisten handle. Aber das stimme nicht, Frauen seien von Anfang an dabei gewesen. Natürlich gebe es unter den Aufständischen auch welche, die die Frauen zur Seite drängen wollten. „Der Kampf der Frauen um ihre Stellung in Gesellschaft und Politik wird sicherlich auch nach dem Aufstand weitergehen“, macht sie sich keine Illusionen.

Stark, jung und mit doch so viel prägender Erfahrung, kommen all ihre Antworten energisch, ohne zu zögern. Nur auf die Frage, wie es denn jetzt persönlich für sie weitergehe, kommt Hadil ins Stocken – sie wisse es nicht. „Ich musste mein Land, meine Familie und meine Freunde verlassen“, fasst sie zusammen. Dann laufen der scheinbar unerschrockenen Frau Tränen über die Wangen. „Das Schlimmste ist, dass ich mein Englischstudium nicht weiterführen kann“, kommt es gebrochen aus ihr heraus. Nach einer kurzen Pause entschuldigt sie sich, die Fassung verloren zu haben. „Eigentlich ist das alles nicht so schlimm, verglichen mit den vielen Menschen, die ihr Leben in diesem Aufstand gelassen haben.“

Zur Person

Hadil Kouki organisierte an der Universität Aleppo den Widerstand gegen das syrische Regime und schmuggelte Medikamente in die Rebellenhochburgen Homs und Hama. Nachdem einer ihrer Komplizen verhaftet wurde, musste sie das Land verlassen. [El-Gawhary]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2012)

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