Licht aus! Die Glühbirne sagt der Kunst Ade

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Symbolbild(c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
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Wenn die Technik sich ändert, ändern sich auch die Kunstwerke. Restauratoren versuchen diesen Prozess zu verlangsamen, stoppen können sie ihn nicht – von Glühbirnenlagern und Schiffscontainern voll Röhrenmonitoren.

Fast wäre die belgische Videokünstlerin Marie-Jo Lafontaine während der Pressekonferenz zur aktuellen Videoausstellung im Essl-Museum vor dem Sammler niedergekniet vor Dankbarkeit. Sie entschied sich dann aber doch für eine nicht weniger rührende Standing Ovation: Schließlich habe er es mit einem unglaublichen Team ermöglicht, dass ihre berühmte „documenta“-Arbeit „Tränen aus Stahl“ von 1987 heute wieder gezeigt werden kann.

So, wie sie gedacht war. So, dass sie wieder lebt. Zehn Jahre lang war der altarartige Aufbau von 27 Fernsehern, die zeitversetzt eine Hymne auf Lust und Schmerz der Körperdisziplin anhand eines äußerst ansehnlichen Männerkörpers zeigen und singen, nicht mehr zu sehen. Die Technik war veraltet und zum Teil schadhaft. Nach mühevollen, zweijährigen Recherchen des Essl-Mitarbeiters Andreas Rottenschlager können die „Tränen aus Stahl“ jetzt aber wieder fließen wie damals in Kassel, als diese Arbeit zu einem Meilenstein der Videokunst wurde.

Kauft Röhrenmonitore! Diese liebevolle Betreuung ist allerdings nicht selbstverständlich: „Ich beschwöre alle Museen und Sammler, jetzt noch Röhrenmonitore zu kaufen“, flehte Lafontaine am Rande der Pressekonferenz verzweifelt. Denn diese werden fast nicht mehr hergestellt. Was für viele Kunstwerke aus der Anfangszeit der Videokunst eine Katastrophe darstellt. Ästhetisch wie auch technisch.

Von der Seite kommend sähe man auf Flachbildschirmen bei „Tränen aus Stahl“ etwa nur eine schwarze Fläche, erklärt Lafontaine. Und man soll die monumentale TV-Wand ja wie ein Objekt umkreisen. Auch die Video-Klavier-Skulpturen des Multimedia-Pioniers Nam June Paik, für die er einst Fernseher vom Schrottplatz holte, wären lachhaft, stellt man sie sich mit schicken Flachbildschirmen vor. Was also können Museen tun, wenn einst übliche Technik schwindet?

Ein ganzer Schiffscontainer voll.
Für Lafontaines Stahltränen ist das Essl-Museum in China fündig geworden. Eine Fabrik dort erzeugte aus übrig gebliebenen Panasonic-Ersatzteilen immer noch Röhrenfernseher. „Wir haben gleich einen ganzen Schiffscontainer mit diesen Geräten gekauft“, erzählt Rottenschlager. Jetzt besitze man mehr als die doppelte Anzahl, die für das Werk nötig sind. Für Nam June Paiks Skulptur, ebenfalls zurzeit in der Videoausstellung zu sehen, sieht es weniger rosig aus, hier habe man noch kein Back-up.

Da haben es Restauratoren mit lebenden Künstlern naturgemäß einfacher, man fragt sie einfach. VALIE EXPORT etwa, von der Essl Anfang der 90er-Jahre die allererste Videoarbeit für seine Sammlung kaufte. Das Röhrenfernseherproblem sieht sie eher locker. Dafür hat sie sich einen beachtlichen Vorrat an Glühbirnen angelegt, die ja laut EU-Gesetz im September dieses Jahres endgültig aus den Geschäften verschwinden müssen.

Die Vorstellung, dass bei ihrer großen Installation „Fragment der Bilder einer Berührung“ von 1994 anstatt der 24 an Eisenstangen von der Decke hängenden Glühbirnen Energiesparlampen in die schmalen Gefäße mit Öl, Wasser und Milch eintauchen, ist EXPORT ein Gräuel. Schließlich geht es auch um die Gefahr des Zerplatzens, es geht um die Wärmeentwicklung der Glühbirnen, die die Flüssigkeiten beim rhythmischen Eintauchen auch in ihrem Aggregatszustand unterschiedlich verändert. „Ich glaube, ich habe eine ganze Fabriksproduktion gekauft“, sagt EXPORT der „Presse am Sonntag“, „ich lagere hunderte Glühbirnen.“ Und wenn dieser Vorrat zu Ende geht? „Dann wird das Kunstschicksal entscheiden.“

Gar nicht so viele Werke und daher auch gar keine etwaigen unterirdischen Glühbirnendepots besitzt das Wiener Museum Moderner Kunst, gibt der Restaurator für neue Medien, Michael Krupica, preis. Er sei eher auf der Jagd nach Röhrenmonitoren und alten Computern.
Um sich zumindest „auf der sicheren Seite“ zu fühlen, hat die Chefrestauratorin des Essl-Museums, Ute Kannengießer, „beachtliche“ Glühbirnenvorräte für einige wenige betroffene Werke angelegt, etwa zwei abstrakte Bildtafeln aus bunten Glühbirnen von Tal R.

„Kaltes Herz“ in kaltem Licht. Von der „Hysterie“, die manche deutschen Medien 2009, als das Ende der Glühbirne von der EU verkündet wurde, in vielen Museen orteten, scheint zumindest in Österreich nichts mehr zu spüren. „Die Entwicklung geht schon so weit, dass sich Energiesparlampen in der Form zumindest den Glühbirnen anpassen“, sagt Kannengießer. Die spezifische Wärme des Lichts einer Glühbirne ist allerdings ein anderer Faktor – so würde eine Energiesparlampe aus Christian Boltanskys Installation „Herz“, für die eine einfache, von der Decke hängende Glühbirne im Herzrhythmus aus- und angeht, wohl eher ein „kaltes Herz“ machen.

Wie wird das nur werden, wenn Restauratoren auf dem Schwarzmarkt Glühbirnen illegal erwerben müssen, um den Sinn mancher Kunstwerke wie etwa Ilya Kabakovs autobiografischer Installationen über seine Jugend im kommunistischen Russland erhalten zu können? Und wird man in ferner LED-Zukunft die gemalte Glühbirne in Picassos „Guernica“ extra erklären müssen?
Mit mehr oder weniger üppigen Vorräten und Zeitschaltuhren im Ausstellungsbetrieb versuchen Restauratoren derlei schleichendem Verfall entgegenzuwirken. Doch auch ihnen ist bewusst: „Wir können den Prozess nicht aufhalten, nur verlangsamen“, sagt Kannengießer.

Womit sie sich allerdings schon auf den nächsten Problemkandidaten bezieht. Er liegt im Hintergrund der Essl'schen Restaurierwerkstätte in einer Kühltruhe – und besteht aus gefrorener Kokosmilch. Der englische Künstler Marc Quinn hat sich selbst in diesem seltsamen Aggregatszustand porträtiert, viermal insgesamt. Bei Essl ist man allerdings stolz darauf, den einzigen noch original gefrorenen Kopf zu besitzen.

Alle anderen mussten bereits reproduziert werden. Das vom Künstler mitgelieferte Kühlaggregat für den Kopf, das noch dazu die Signatur trägt, ist nämlich tricky: „Das Aggregat hat gekühlt, gekühlt, gekühlt“, erzählt Kannengießer. „Dann setzten sich Eiskristalle an, wie bei jedem Kühlschrank – und dann begann es, automatisch abzutauen. Die Temperatur stieg von minus 13 auf plus drei Grad. Sie können sich vorstellen, was dann mit einem Kopf aus Kokosmilch, aus wässrigen und fetten Bestandteilen, passiert – da hieß es kühlen Kopf bewahren.“ Gemeinsam mit einer Firma für Kühlgeräte baute man einen zweiten Kühlkreis in das Originalgerät ein. Trotzdem muss der Zustand des Kopfes täglich kontrolliert werden, es gibt einen Notfallplan für die Bergung und zyklische Einweisungen des Personals.

Videos in der Trockenkammer. Mit derselben Kühlsystem-Firma, die sich sonst um Gemüse oder Wein sorgt, hat man im Essl-Museum auch das Protomodell einer Trockenkammer entwickelt, um Datenträger zu lagern. Wie ein riesiger Safe steht das Minilager im Bilderdepot.

Darin herrschen klimatische Bedingungen, die den Verfall verlangsamen sollen. „Die Feuchtigkeit ist auf 33 Prozent reduziert“, erklärt Kannengießer, „die Raumtemperatur allerdings dieselbe wie im umliegenden Depot, ein Kompromiss, dadurch braucht man zumindest durch keine Klimaschleuse durchzugehen.“

Das Speichermaterial von mittlerweile 66 Film-, Video- und Multimedia-Arbeiten befindet sich hier. „Die ersten Arbeiten waren auf Video, dann kamen Arbeiten auf DVD, dann kamen Blue-Ray, Laserdiscs, dann Umatic-Bänder dazu und natürlich Computer-Files. Das ist ein so heterogenes Konvolut, für das auch die Abspielgeräte obsolet werden. Man kann sich gar keinen so großen Vorrat an Technik anschaffen. Daher haben wir mit einem Spezialisten eine Strategie entwickelt, mit mehreren Sicherungskopien auf mehreren Speichermaterialien. Da sind wir Vorreiter.“ Das Mumok etwa plant erst im Lauf dieses Jahres, so Restaurierung-Chefin Eva Stimm, ein solches Spezialdepot. Ein ungeheurer Aufwand, an den wohl nur selten jemand denkt – Künstler wie Sammler wie Betrachter.

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