Die geplante Massenverteilung des Koran sorgt für Aufregung. Könnte es sein, dass die Wirkmacht dieses Buchs überschätzt wird?
Die Salafisten, eine islamische Gruppierung, deren Namen man frei als „Altvat'rische“ ins Wienerische übertragen kann, haben eine massenhafte Gratisverteilung des Koran angekündigt und damit in Deutschland – vor allem bei den Parteien, die das Christentum im Namen tragen – große Aufregung induziert. Diese „aggressive Aktion“ müsse „gestoppt“ werden, sagte etwa ein hoher CDU-Politiker.
Ohne jede Sympathie für radikale Moslems: Mir kommen solche Reaktionen ein wenig panisch vor. Als ob man fürchten müsste, dass schon ein Blick in den Koran im unschuldigen Leser das sofortige Bedürfnis weckt, „Allah il Allah!“ zu rufen, sich gen Mekka zu wenden und das Rasierzeug zu entsorgen. Das ist nicht so, behaupte ich, es würde sogar zur Entzauberung des Koran beitragen, wenn mehr Leute ihn lesen würden. Und an etlichen Stellen können auch Juden, Christen, Agnostiker, Atheisten, Buddhisten, Animisten, Abergläubische etc. Gefallen finden, man nehme nur die Adaption der Josephsgeschichte in der zwölften Sure, mit der fein humoristischen Szene, in der sich die Freundinnen der Frau des Potiphar alle beim Essen in die Finger schneiden, weil der Joseph gar so schön ist . . .
Dass Christen so überreizt auf die Ankündigung reagieren, dass eine andere Buchreligion ihr Buch verteilen will, könnte auch daran liegen, dass sie selbst die Verteilung ein wenig vernachlässigen. Wo sind die Zeiten, als in jedem Hotelzimmer eine Bibel lag? Hineingelegt hatte sie meist der Gideonbund, ein auch nicht gerade unmissionarischer Verein. Ich habe – im Gegensatz zu Rocky Raccoon im gleichnamigen Song der Beatles – dieses Service sehr geschätzt, habe oft in einer Gideon's Bible den einen oder anderen Vers nachgeschlagen und würde auch einen Koran im Nachtkästchen gutheißen, nicht in einer rein arabischen Ausgabe, wenn's geht.
Schnell, bevor sich die säkular gestimmten Leser mit mahnenden Zwischenrufen melden: Auch Buchspenden anderer Gesinnungsgemeinschaften sind herzlich willkommen! Die Marxisten sollen Marxens „Kapital“, die Marktisten sollen Hayeks „Weg zur Knechtschaft“ auflegen. Die strengen Zivilisationspessimisten dürfen uns mit Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ dienen, die eher anekdotisch gesinnten mit Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“. Die „Kritik der reinen Vernunft“? Sowieso! Die „Entstehung der Arten“? Her damit! Nietzsches „Götzen-Dämmerung“? Aber ja. Sollte noch jemand an Bob Dylans gesammelte Werke denken, ist mein Hotelzimmer-Glück vollkommen.
Und wenn der Reisende dann den Blick über diese kleine, feine Handbibliothek schweifen lässt, wird er vielleicht sagen: Man kann ja viel kritisieren an diesen Islamisten, aber das haben wir ihnen zu verdanken!
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